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Mehr Futter für das Zugpferd

Von Alexander Maurer

Politik
Jede Partei will der Wirtschaftspolitik naturgemäß ihren eigenen Anstrich verpassen.
© WZ-Grafik/WZ-Montage, Fotos: Fotolia (Digitalpress/Tatjana Rittner), Quelle: WZ-Recherche

Während die Wirtschaft Rekordbeschäftigung verzeichnet, verschärft sich die Lage am Arbeitsmarkt zunehmend.


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Wien. Wirtschaftlich gesehen kann man die Bundeshauptstadt als Zugpferd bezeichnen. Das Bruttoregionalprodukt (BRP) Wiens 2013 macht mit 82.833 Millionen Euro 25,7 Prozent der österreichischen Wirtschaftsleistung aus. Die Wiener erwirtschaften mit durchschnittlich 42.700 Euro jährlich um 23,9 Prozent mehr als das Bundesmittel. Die Wirtschaftskammer Wien (WKW) betont, dass trotz Rekordarbeitslosigkeit Rekordbeschäftigung in Wien herrscht. Die Arbeitgeberbetriebe sind in den letzten zehn Jahren um 6,9 Prozent gewachsen, im vergangenen beschäftigten sie um 15,5 Prozent mehr Menschen als 2005.

Mit 8150 Unternehmen fanden im vergangenen Jahr 22 Prozent aller österreichischen Neugründungen in Wien statt. Dem stehen jedoch mit 1667 Schließungen 30,7 Prozent aller Insolvenzen gegenüber. Neben der stärkeren Förderung von Klein- und Mittelbetrieben, der Schaffung von Tourismuszonen oder Bürokratieabbau sieht die WKW die Ansiedlung von Produktionsbetrieben in Wien als entscheidenden Faktor zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums. Die bestehenden Produktionsbetriebe der Hauptstadt stellen bereits 140.000 Arbeitsplätze und generieren direkte Wertschöpfung von 11,7 Milliarden Euro, heißt es seitens der WKW. Auch Start-ups werden als ein wichtiger Wachstumsmotor angeführt. "Hier muss noch viel mehr getan werden." Die Politik sei hier gefordert, da man in diesem Bereich noch am Anfang stehe.

Verbesserungspotenzial bei Start-ups

Andreas Tschas, Mitgründer von Pioneers und Veranstalter des "Pioneers Festival" für Start-ups in Wien, bemängelt, dass Wien international nicht als Stadt für Jungunternehmen bekannt ist. So kommt Wien im "Compass Report", der ein jährliches Bild des Start-up-Ökosystem zeichnet, gar nicht vor. Er gibt aber auch zu bedenken, dass sich bereits "viel getan" habe. Die Szene sei gewachsen und es gäbe Erfolgsgeschichten wie die Flohmarkt-App "Sphock". Jungunternehmen wie das Medizin-Start-up Austrianni oder der Greentech-Incubator der Blue Minds Company sprechen auch von der breiten Förderlandschaft Wiens. "Aber Start-up-Ökosysteme entstehen nicht von heute auf morgen", gibt Tschas zu bedenken. Er plädiert dafür, einerseits Wissen am Standort selbst aufzubauen und andererseits Wien stärker international zu positionieren. Tschas könnte sich eine Art "Welcome-Package" für Start-ups vorstellen, dass beispielsweise ein erleichtertes Arbeitsvisum beinhaltet.

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Um die Stadt aus den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise zu lenken, setzt das Rathaus und vor allem die rote Finanzstadträtin Renate Brauner voll auf Investitionskurs - ungeachtet der Neuverschuldung. So nahm die Stadt allein 2014 neue Verbindlichkeiten von 285 Millionen Euro auf insgesamt stieg Wiens Schuldenquote von 1,9 Milliarden Euro Ende 2009 auf nunmehr 4,9 Milliarden Euro und beträgt 5,9 Prozent des BRP. Die Neuverschuldung wurde in den letzten Jahren aber gedämpft, für 2015 verringert sich der erwartete zusätzliche Finanzmittelbedarf auf 221 Millionen Euro. Die Stadt investiere in "bleibende Werte" wie Spitäler, Infrastruktur und Schulen anstatt in den laufenden Betrieb, heißt es. Gerade in einer Krise bräuchte es Investitionen, "damit das Werkl läuft", bekräftigte Brauner Ende 2014.

Hielt sie noch 2012 daran fest, 2016 wieder "eine schwarze Null" im Stadtbudget schreiben zu können, sprach sie sich zuletzt für eine Lockerung des Stabilitätspaktes aus, um im kommenden Jahr gegebenenfalls wieder Verbindlichkeiten aufnehmen zu können. Es gehe ihr dabei vor allem darum, Bewusstsein für die Wichtigkeit von Investitionen zu schaffen.

Diese Strategie erinnert an Altkanzler Bruno Kreisky, dem ein paar Milliarden Schilling Schulden lieber waren als ein paar hunderttausend Arbeitslose. Die Opposition wirft der Stadtregierung immer wieder vor, Wien mit ausufernden Ausgaben einen Schuldenberg aufzuladen. Da wird von den Freiheitlichen ein Rechnungshofbericht auch mal als "Gruselroman" bezeichnet oder das schwache Wirtschaftswachstum bemängelt, während die ÖVP vor steigenden Arbeitslosenquoten warnt.

Brennpunkt Arbeitsmarkt

Die Lage am Wiener Arbeitsmarkt ist in der Tat angespannt. Die Arbeitslosenquote in Wien stieg von 8,8 Prozent im August 2011 kontinuierlich an und erreichte im heurigen August einen Höchststand von 13,1 Prozent. Damit liegt sie deutlich über der gesamtösterreichischen Quote von 8,3 Prozent. Arbeitsmarktexperte Helmut Mahringer vom österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo merkt im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" an, dass Wien als Großstadt schwer mit den anderen Bundesländern zu vergleichen sei.

Er verweist auf den starken Strukturwandel, den die Stadt in den letzten Jahren und Jahrzehnten erlebt habe. "Es gibt am Wiener Arbeitsmarkt eine starke Polarisierung zwischen hochqualifizierten und unqualifizierten Jobs." Das mittlere Segment des Arbeitsangebots, das vor allem für Industrie und Gewerbe typisch sei, wäre hingegen schwächer vertreten. Auch die WKW warnt vor der Abwanderung von Industrieflächen in den "Speckgürtel" rund um Wien. Seit 2000 seien 30 Prozent der Wiener Industrieflächen verloren gegangen. Laut Mahringer habe der Strukturwandel auch das Beschäftigungswachstum gedämpft, das sich mittlerweile aber wieder im Bundesdurchschnitt befinde. Als Grund nennt er unter anderem die Zunahme von Teilzeitbeschäftigung und Verkürzung der Arbeitszeit.

Konkurrenzkampf vor allem bei Zuwanderern

Neben einer Ausweitung der Lebensarbeitszeit und einer stärkeren Erwerbstätigkeit von Frauen wächst das Arbeitskräfteangebot der Stadt vor allem durch Zuwanderung. Diese kommt neben den Bundesländern und EU-Staaten in Form von Asylberechtigten nun wieder stärker aus Drittstaaten. "Das allgemein starke Anwachsen des Arbeitskräfteangebots kann in Wien wie auch in ganz Österreich durch Beschäftigungswachstum nicht komplett aufgefangen werden", gibt Mahringer zu bedenken. Auch die WKW betont, dass das Bevölkerungswachstum das Beschäftigungswachstum überhole.

Vor allem unter Zuwanderern sei der Konkurrenzdruck groß. "Dies gilt besonders für Branchen, in denen sich der Anteil ausländischer Arbeitskräfte konzentriert, beispielsweise in der Bauwirtschaft oder im Tourismus. Dort ist auch der Zugang leichter und die Beherrschung der Sprache spielt mitunter eine geringere Rolle", erklärt Mahringer. Laut AMS Wien waren diesen September 119.354 Menschen als arbeitslos gemeldet (ohne Schulungsteilnehmer). Davon waren 42.706 Personen Ausländer, also 35,8 Prozent. Im September 2011 lag dieser Anteil bei 27,9 Prozent. Das Thema Integration müsse auch am Arbeitsmarkt behandelt werden. "Sprachkenntnisse und die Teilhabe von Kindern mit Migrationshintergrund an der Bildung sind ganz wichtig, damit sich ihre Chancen nicht verschlechtern", betont Mahringer.

Bildungsmaßnahmen und der Fokus auf gut ausgebildete Arbeitskräfte seien wichtige Impulse zur Verbesserung der Wachstumsentwicklung. "Arbeitskräfte mit geringer Ausbildung haben ein eklatant höheres Arbeitslosigkeitsrisiko", sagt der Experte. Auch müsse die Stadt ihr Investitionspotenzial ausschöpfen, etwa in den Bereichen Wohnbau, Betreuung und Infrastruktur. Auch müsse die Zahl der älteren Arbeitslosen und jener mit gesundheitlichen Einschränkungen präventiv eingedämmt werden, etwa durch spezifische Unterstützung oder Anreizstrukturen.

Der Anteil der über 45-Jährigen bei den Arbeitslosen ist von 33,2 Prozent im September 2011 auf 36,3 Prozent für September 2015 gestiegen. Die Gesamtzahl der Arbeitslosen über 45 hat sich um 71,5 Prozent erhöht. Die Jugendarbeitslosigkeit sank hingegen von 15,2 Prozent auf 12,1 Prozent - derzeit haben 14.465 Jugendliche unter 25 Jahren keinen Job. "Ein Umdenken durch die Veränderung der demografischen Struktur ist wichtig", betont Mahringer.