Experte Münz: Wenn Politik das Thema Kinder ernst nimmt, braucht es Betreuungsplätze. | Familienförderung ist Mittel der Umverteilung. | Wien. Zwar wünschen sich die Menschen in Österreich im Durchschnitt zwei Kinder, tatsächlich liegt die Zahl der Kinder pro Frau nach Angaben des jüngsten Familienberichts aber nur bei 1,4 Kindern.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
8,6 Milliarden Euro gibt Österreich jährlich für Familienförderung aus - 55 Prozent davon sind direkte Geldleistungen. Die Ausgaben für familienpolitische Maßnahmen machen laut Familienbericht mit rund zehn Prozent die drittgrößte Kategorie der Sozialausgaben aus, dennoch sinkt die Zahl der Geburten. "Mehr Geld führt nicht zu mehr Kindern", erklärte der Bevölkerungswissenschafter Rainer Münz gegenüber der "Wiener Zeitung".
Aus der Familienpolitik der vergangenen 50 Jahre lasse sich aber auch nicht herauslesen, dass das Ziel der Familienförderung mehr Kinder seien. Vielmehr sei die Familienförderung eine Umverteilung zugunsten der unteren Einkommenspyramide.
Es gebe vier Möglichkeiten, sagte Münz: Verzicht auf Kinder, Verzicht auf Arbeit, mehr Väterbeteiligung oder mehr institutionelle Kinderbetreuungseinrichtungen. Würden die Parteien das Thema Kinder ernst nehmen, müsste es längst mehr Kinderkrippen, Kindergärten und vor allem Ganztagsschulen - "und zwar Ganztagsschulen, die den Namen auch verdienen, wo die Kinder am Abend nach Hause kommen und ihre Hausaufgaben erledigt haben" - geben, ist der Soziologe überzeugt.
"Männer wollen keineberufstätige Frauen"
Tatsächlich seien Männer an berufstätigen Frauen nicht interessiert. Münz: "Da steht am Abend keine warme Suppe auf dem Tisch." Außerdem fürchteten Männer die Konkurrenz der Frauen auf dem Arbeitsmarkt. "Wenn die Frauen es auf dem Arbeitsmarkt zu etwas bringen, haben dumme Männer weniger Chancen." Tatsache sei jedenfalls, dass Akademikerinnen eher auf Kinder verzichten - 40 Prozent von ihnen sind kinderlos. Sie entscheiden sich also im Zweifel gegen die Familie.
In der SPÖ kämpfen jedenfalls die Frauen seit Johanna Dohnal für mehr Kinderbetreuungsplätze. In der ÖVP wurde die Frage der Kinderbetreuung lange Zeit vor sich hergeschoben. Mit Christine Marek hat aber erstmals in der ÖVP eine Alleinerzieherin die Familienagenden übernommen und damit Verständnis aufgebracht für die Schwierigkeiten, die Kinder - noch immer fast ausschließlich für Frauen - mit sich bringen. Sei es bei Kleinkindern, für die es noch immer viel zu wenige Krippenplätze gibt, sei es bei Kindergartenkindern, wo man mit den Öffnungs- beziehungsweise Schließzeiten zu kämpfen hat. Besondere Probleme gibt es bei Kindern ab der Sekundarstufe I, wo die Betreuung an den Schulen ausgesprochen mangelhaft ist.
Marek konnte sich bei ihrer neuen Familienpolitik auf das sich wandelnde Familienbild in der ÖVP stützen. "Familie ist, wo Kinder sind", formulierte ÖVP-Generalsekretär Fritz Kaltenegger. Seit Josef Pröll Parteiobmann sei, gehe die Partei den Weg, die Familienpolitik der Realität anzupassen. Die Frage ist aber, wer anstelle von Marek die neue Familienpolitik der ÖVP verkörpern kann.
Familie soll beiMitterlehner bleiben
Die Regierung plant nach Möglichkeit keine Änderung des Ministeriumsgesetzes. Daher muss die Familienpolitik dort angesiedelt bleiben, wo sie jetzt ist: im Wirtschaftsministerium bei Ressortchef Reinhold Mitterlehner. Angeblich hat man sich in der ÖVP darauf geeinigt, dass die Tiroler das Vorschlagsrecht für die Nachfolge von Christine Marek haben, die sich auf ihre Aufgabe in der Wiener ÖVP konzentriert und Klubchefin im Rathaus wird. Allerdings hat Wunschkandidatin Martha Schultz am Montagnachmittag überraschend abgesagt. Eine Tiroler Alternative wäre demnach Elisabeth Zanon. Sie wurde bereits als Nachfolgerin von Andrea Kdolsky als Ministerin für Gesundheit, Familie und Jugend gehandelt. Allerdings zog sich Zanon 2008 - nach der Wahl von Günther Platter zum Landeshauptmann - aus der Politik zurück und kehrte in ihren Beruf als plastische Chirurgin zurück. Auch in Frage käme Kristina Edlinger-Ploder. Aber sie kommt aus der Steiermark und ihre Kompetenzen in der Landesregierung wurden nach der jüngsten Wahl erweitert. Edlinger-Ploder wäre aber - so wie Marek - Alleinerzieherin.
Eine liberale ÖVP-Familienpolitik kündigt sich aber an: Die Einstellung, dass Kinder nur in der behüteten Umgebung der Familie gut aufwachsen könnten, "entspricht nicht der Realität. Wir müssen Sachleistungen wie Kindergartenplätze ausbauen", erklärte Minister Mitterlehner im jüngsten "profil".