Viele subjektive Nahrungsmittelunverträglichkeiten sind medizinisch nicht zu belegen.
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Wien. Nahrungsmittelunverträglichkeit scheint eine oftmals hilfreiche Selbstdiagnose zu sein, wenn sich Menschen vor allem mit verdauungstechnischen Problemen herumquälen. Immerhin glauben 17 Prozent der Bevölkerung, dass sie von einer Intoleranz gegenüber Laktose, Fruktose oder ähnlichen Bestandteilen betroffen sind. Aber nur bei einem Prozent sei eine solche Veranlagung auch objektiv messbar, betonte Gunter Sturm, Leiter des Wiener Allergieambulatoriums Reumannplatz, am Dienstag vor Journalisten. Auch werde "vieles, was normal ist, in eine Unverträglichkeit umgedeutet", so der Mediziner. Dass Bohnen oder roher Zwiebel von Natur aus Blähungen verursachen, ist offenbar nicht mehr jedem bekannt.
Neigung nimmt zu
Dennoch dürfte aufgrund veränderter Ernährungsgewohnheiten die Neigung zu Unverträglichkeiten zunehmen. Der durchschnittliche Fruktosegehalt in Nahrungsmitteln habe sich zum Beispiel von 20 Gramm in den 1960er Jahren auf mehr als 80 Gramm in den 1990er Jahren gesteigert. Fruktosequellen wie Maisstärke seien zudem billig und daher auch häufig in Fertiggerichten zu finden, betonte Stefan Wöhrl vom Allergiezentrum Floridsdorf. "Der Körper ist dadurch einfach überlastet."
Im Steigen begriffen seien auch aufgrund der Zunahme von Pollenallergien sogenannte Pollen-assoziierte Kreuzallergien, wodurch Reaktionen bei Nahrungsbestandteilen auftreten können. Echte, gefährliche Allergien, wie sie beim Verzehr von Nüssen, Fisch oder Meeresfrüchten vorkommen können, "bleiben mit ein bis drei Prozent der Bevölkerung relativ konstant und sind damit bedeutend seltener als angenommen", so Wöhrl.
Während echte Allergien zu heftigen Reaktionen bis hin zu lebensbedrohenden Zuständen führen können, äußern sich Nahrungsmittelunverträglichkeiten in Symptomen wie Bauchschmerzen, Krämpfen, Durchfall oder Müdigkeit. Doch wie lässt sich eine Intoleranz nachweisen?
Bestimmte Antikörper - die Immunglobuline im Blut -, wie sie häufig zum Nachweis von Allergien oder Intoleranzen herangezogen werden, seien nur bedingt aussagekräftig, betonte Barbara Bohle, Leiterin des Instituts für Pathophysiologie und Allergieforschung der Medizinuni Wien. Zur Familie der Immunglobuline gehören etwa jene des Typs E. Ein erhöhter, gegen Nahrungsmittel gerichteter IgE-Spiegel sei ein Hinweis auf eine Allergie. Je mehr vorhanden sind, desto wahrscheinlicher ist ein solches Geschehen.
Die Immunglobuline des Typs G hingegen hätten keinerlei Aussagekraft über ein unerwünschtes Geschehen im Körper. Sie "werden auch bei ganz gesunden Menschen als normale Reaktion auf wiederholt verzehrte Nahrungsmittel im Blut gebildet", so Bohle. Ein erhöhter IgG-Wert gegen bestimmte Nahrungsmittelbestandteile liefere deshalb nur einen Hinweis darauf, was jemand oft und gerne isst. Trinkt man zum Beispiel viel Milch, so zeigt sich das auch in einem erhöhten IgG-Spiegel gegen Milcheiweiß. Dies sei aber kein Nachweis für eine Unverträglichkeit gegenüber Laktose, stellte die Medizinerin klar.
Werden Nahrungsmittel nicht vertragen, können verschiedene Ursachen dahinterstecken. Welche Form der Unverträglichkeit vorliegt, muss anhand von Tests abgeklärt werden, da es gilt, nutzlose oder schädliche Diäten zu vermeiden. Die Experten warnen vor teils fragwürdigen Tests, die ohne medizinischen Hintergrund meist über das Internet angeboten werden.
Keine Selfmade-Diäten
"Die Betroffenen sind mit den Ergebnissen allein gelassen und verunsichert. Durch falsche Maßnahmen verlängern sie ihr Leiden und laufen Gefahr, in eine Mangelernährung oder künstlich verursachte Essstörung abzugleiten", betonte Sturm. Vor selbstverordneten Maßnahmen warnt auch die Diätologin Martina Fischl. "Immer mehr, meist besonders gesundheitsbewusste Menschen kaufen zur Vorsicht und ohne jeglichen medizinischen Hintergrund diese Produkte." Zum Beispiel sei glutenfreie Ernährung sehr modern geworden. Doch Gesunden bringe sie keinen Vorteil und im Fall einer sogenannten Zöliakie - einer chronische Darmerkrankung, die durch Gluten ausgelöst werden kann - behindere diese Diät sogar die exakte Diagnose.
Ein neuer Ratgeber auf Initiative der Arbeitsgruppe Allergologie der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie rund um das Thema Nahrungsmittelunverträglichkeit soll für Aufklärung sorgen.
www.allergenvermeidung.org