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Mehr Markt für weniger Abhängigkeit

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Die EU-Kommission will das Ausmaß russischer Öl- und Gaslieferungen verringern.


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Brüssel. Das Einsparpotenzial ist nicht zu unterschätzen: Die EU könnte jährlich 40 bis 50 Milliarden Euro gewinnen, wenn sie einen Binnenmarkt für Energie hätte. Doch die Vernetzung von Gas- und Stromleitungen zwischen den Mitgliedstaaten ist oft nicht ausreichend, der Austausch damit erschwert, die Infrastruktur ist verbesserungswürdig. Hinzu kommen unterschiedliche Regulierungsbehörden sowie Systeme der Preisgestaltung bei der Strom- und Gasversorgung. Und dass die Europäer bei ihren Energieimporten allzu abhängig von einem Lieferanten, Russland, sind, bereitet ihnen ebenfalls schon seit langem Sorgen.

Eine breitere Palette an Anbietern aber auch an Transitrouten, eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Ländern und Regionen, Energieeffizienz und Reduzierung des Verbrauchs sowie billigere Energiepreise sollen nun zur Problemlösung beitragen. All das sind Bausteine bei der Errichtung einer Energieunion, die die EU-Kommission als eines ihrer wichtigsten Ziele ansieht. Ihre Vorstellungen dazu präsentierten in Brüssel Energiekommissar Miguel Arias Canete sowie der zuständige Vizepräsident der Behörde, Maros Sefcovic.

Für Sefcovic hat das Vorhaben denn auch ein ähnliches Potenzial wie die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die die Basis der Europäischen Union bildete. Der ungehinderte Fluss der Energie sei eine Freiheit, die mit jener für das Kapital oder für Personen gleichzusetzen wäre. In den kommenden fünf Jahren sollen daher so viele grenzüberschreitende Leitungen gebaut werden, dass ein Austausch von zehn Prozent der Produktion möglich wird. Dies würde nicht nur die breitere Nutzung von Ökostrom aus Wind oder Sonne erleichtern, sondern den Europäern dabei helfen, ihre eigenen Ressourcen verstärkt einzusetzen.

Bisher sind aber etliche Länder schlecht oder so gut wie gar nicht mit ihren Nachbarn verbunden. Dazu gehören laut Kommission nicht nur Inselstaaten wie Großbritannien oder Zypern, sondern ebenfalls baltische Länder sowie Spanien und Portugal. Um die Infrastruktur auszubauen und zu modernisieren, wären bis zum Jahr 2020 an die 200 Milliarden Euro nötig, räumte Canete ein. Die engere Verflechtung würde sich jedoch schon bald auszahlen - und die EU selbständiger machen.

Atomkraft als "saubere Energiequelle"?

Allerdings sähe die Behörde nicht nur die Abhängigkeit von russischen Öl- und Gasimporten gern verringert, sondern auch jene von fossilen Brennstoffen. Mehr Möglichkeiten zur Nutzung von Flüssiggas sind ihr daher ebenso ein Anliegen wie "saubere Energiequellen". Darüber, was diese bedeuten, gehen aber die Meinungen auseinander. Wie sie nämlich ihren Energiemix gestalten, bleibt den Ländern überlassen. Für Großbritannien beispielsweise ist nicht zuletzt Atomkraft eine kohlenstoffarme Quelle, was die Regierung in London auch nochmals betonte. Dieser Auffassung widerspricht die Kommission nicht. Länder wie Österreich sehen dies hingegen anders und fordern eine Absage an die Nuklearenergie. Sie möchten erneuerbare Energiequellen stärker in den Fokus rücken.

Das erklärte etwa der österreichische Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner, der gleichzeitig auch lobende Worte für die EU-Pläne fand. So sei eine engere Abstimmung - auch der sogenannten Energiewende - unter den Mitgliedern zu begrüßen. Eine bessere Balance von Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Wettbewerb sei zu finden. Die deutsche Regierung wiederum verwies auf weitere Ziele: die Kürzung des Treibhausgas-Ausstoßes oder die Einsparung von Energie. Österreichs Regulierungsbehörde E-Control wiederum erwartet Vorteile für Konsumenten, die von mehr Marktintegration und Versorgungssicherheit profitieren.

Mit wenig Gegenliebe muss die Kommission hingegen bei einem anderen Vorschlag rechnen. Im kommenden Jahr will Canete einen Entwurf zu Verhandlungen über neue Energieverträge vorlegen. So soll die Kommission über Abkommen mit Drittstaaten - zwischen Regierungen aber auch Unternehmen - schon im Laufe der Gespräche informiert werden und nicht erst nach Abschluss. Damit soll die Vereinbarkeit mit EU-Recht bereits zu einem frühen Zeitpunkt garantiert werden. Ein ähnlicher Vorstoß ist allerdings vor einigen Jahren am Widerstand unter den Mitgliedstaaten gescheitert.

Auch in Wirtschaftskreisen lösen die Pläne der Kommission keine unbegrenzte Begeisterung aus. Zwar unterstützt der europäische Industrieverband Businesseurope nach eigenen Aussagen die Bemühungen, die Energiepolitik zu stärken. Doch forderte Direktor Markus Beyrer auch Schritte auf dem Weg zur Senkung der hohen Energiepreise. Die würden nämlich die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie vermindern.

Umweltschutzorganisationen hingegen üben Kritik an den aktuellen Vorschlägen. So ortet Global 2000 "falsch gesetzte Prioritäten". Statt neuer Gas-Infrastruktur und Atomkraftwerke sollten erneuerbare Energie und Effizienz im Mittelpunkt stehen.

Wie viele dieser Ideen tatsächlich realisiert werden und welche Form sie dann annehmen, ist jedenfalls noch offen. Die Kommission hat zunächst einmal ihre Strategie vorgestellt, Gesetzesentwürfe folgen später.