Selbst- und Fremdzuschreibung als größte Herausforderung.
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Wien. "Ich werde nicht nur in diese Rolle gedrängt. Ich nehme sie auch selber an. Denn sie bringt Vorteile. Freie Journalistin mit Migrationshintergrund zu sein ist gar nicht übel." So schlussfolgerte die türkischstämmige deutsche Journalistin Ferda Ataman noch 2007 in ihrem Essay über Vor- und Nachteile des Journalistenlebens mit Migrationshintergrund und ihren Bedenken im Hinblick auf zukünftige Berufsaussichten in der deutschen Medienbranche.
Seitdem haben sich reale Berufsmöglichkeiten und persönliche Idealvorstellung einander mehr und mehr angenähert. Heute, fünf Jahre später, kann man in Deutschland eine übersichtliche, aber doch meinungsstarke, heterogene Gruppe türkischstämmiger Journalisten zählen, die in nahezu allen großen Medien Posten innehaben. Das herkunftsbezogene Denken in vielen deutschen Redaktionen scheint zumindest schon etwas mehr überwunden zu sein.
Deniz Yücel, Redakteur bei der "taz - die tageszeitung", ist ein Beispiel. Seit fünf Jahren arbeitet er für das linksalternative Medium in Berlin-Kreuzberg. In seinen Artikeln beschäftigt er sich mit Sport, Medien und Politik, und oft genug jedenfalls auch mit seiner Herkunft.
Dass gerade türkischstämmige Journalisten nun die deutsche Medienlandschaft mitgestalten, gehört nach wie vor nicht zur Selbstverständlichkeit. Obwohl Menschen mit türkischen Wurzeln mit Abstand - laut deutschem Auswärtigen Amt knapp 2,5 Millionen - die größte migrantische Bevölkerungsgruppe in der Bundesrepublik ausmachen; sind sie unter Journalisten weitestgehend unterrepräsentiert.
Diesen Eindruck bestärken Zahlen aus der Forschung. Nach Ergebnissen des Soziologen Rainer Geißler beläuft sich der allgemeine Anteil von Migranten in deutschen Redaktionen auf knapp 2,5 Prozent.
Vor diesem Hintergrund bleiben besonders Journalisten mit türkischen Wurzeln die Ausnahme in der deutschen Medienlandschaft; umso beachtenswerter, wenn sie Fuß fassen und medial in Erscheinung treten.
Zu dieser Riege gehört der 62-jährige Baha Güngör. Er war einer der ersten türkischstämmigen Journalisten in Deutschland; arbeitete zunächst bei der internationalen Nachrichtenagentur Reuters und war Politikredakteur beim Bonner "General-Anzeiger". Danach wechselte er als Türkeikorrespondent für die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" und der deutschen Presse Agentur in die Türkei. Im Jahr 2004 schrieb er das Buch "Die Angst der Deutschen vor den Türken und ihrem Beitritt zur EU". Güngör ist Träger des bedeutenden deutsch-türkischen Freundschaftspreises.
Die 43-jährige Journalistin Hatice Akyün gehört nach Güngör zu der nächsten Generation türkeistämmiger Medienmacher. Sie arbeitet als freie Journalistin für die Lokalredaktion der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" und war als Society-Reporterin für die Zeitschrift "Max" tätig. Im September 2005 erschien ihr Buch "Einmal Hans mit scharfer Soße" über ihr Leben in zwei Welten. Im August 2008 veröffentlichte sie die Fortsetzung "Ali zum Dessert". Seit gut zwei Jahren ist sie in der Jury des deutsch-französischen Franz-Hessel-Literaturpreises, der jährlich vergeben wird.
Eine andere türkischstämmige Stimme in der deutschen Medienlandschaft ist die Autorin und freie Journalistin Mely Kiyak, die durch ihre Texte zum Thema Islam, Integration und Fremdenfeindlichkeit für rege Diskussionen sorgt. Ihre Artikel und Berichte erscheinen in der "Zeit", der "Welt" sowie der "taz". Sie ist vor allem durch ihre Kolumne in der "Frankfurter Rundschau" und der "Berliner Zeitung" bekannt.
Migranten im TV
Viele türkischstämmige Journalisten arbeiten auch im Fernsehen. Die in Lemgo im Bundesland Nordrein-Westfalen geborene 34-jährige Journalistin Pinar Atalay moderiert Nachrichtenmagazine und Sondersendungen. Im Jahr 2010 übernahm sie die Moderation der "Phoenix-Runde" auf dem Nachrichtensender Phoenix von ARD und ZDF.
Ein weiteres Beispiel für türkischstämmige Beteiligung in den Medien liefert die Moderatorin Asli Sevindim. Sie wuchs im Ballungszentrum rund um Duisburg-Marxloh auf und besuchte einen katholischen Kindergarten. Heute arbeitet sie beim WDR als Moderatorin der Sendung "Cosmo-TV" sowie der WDR-Nachrichtensendung "Aktuelle Stunde". Im Jahr 2005 debütierte die gebürtige Nordrein-Westfälin mit der Culture-Clash-Satire "Candlelight Döner: Geschichten über meine deutsch-türkische Familie" auf dem deutschen Buchmarkt.
Neben den türkischstämmigen Journalisten haben sich im Laufe der letzten Jahre auch Journalisten aus Ursprungsländern wie Griechenland, Italien oder Äthiopien etabliert. Die beiden ARD-Tagesschausprecher Linda Zervakis und Ingo Zamperoni sowie Yared Terfa Dibaba, der die NDR-Sendung "Mein Nachmittag" moderiert, sind weitere bekannte Beispiele dafür. Der Deutsch-Syrer Till Nassif ist als Moderator des ARD-Morgenmagazins und "Cosmo-TV" in Erscheinung getreten.
Dass sich die anfängliche Situation zum Thema Selbst- und Fremdzuschreibung im Vergleich zu 2007 wesentlich verbessert hat, weiß die bekannte ZDF-Morgenmagazin-Moderatorin Dunja Hayali. Sie hat irakische Wurzeln. Bei "3nach9", einem spätabendlichen Talkshow-Format, schilderte sie im Gespräch mit dem "Zeit"-Chefredakteur Giovanni Di Lorenzo ihre ersten Erlebnisse als ZDF-Nachrichtensprecherin. "Als ich 2007 als Moderatorin der ZDF-,heute‘-Nachrichten angefangen habe, war die Situation noch anders. Man wurde durch seine Rolle im ZDF, mit seiner eigenen Herkunft konfrontiert. Heute sind wir auf einem guten Weg, auch wenn ich sagen muss, dass mir alles viel zu langsam geht."