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Mehr Objektivität, bitte!

Von Klaus Jurgens

Gastkommentare
Klaus Jurgens hat bis vor kurzem in der Türkei gelebt und als Universitätslektor (BWL, Schwerpunkte KMU und Europarecht) sowie als Journalist gearbeitet. Er hat Artikel für die englischsprachige türkische Tageszeitung "Today’s Zaman" geschrieben, behielt aber auch nach der Neuorganisation des Medienkonzerns Feza Gazetecilik seine Kolumne.
© privat

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Vorige Woche: Ein vereitelter Militärputsch in der Türkei - und ein Land bricht auf, um seine Demokratie zu verteidigen. Menschen erklimmen Panzer, zeigen selten vorher erlebte Zivilcourage unter Bedrohung ihres eigenen Lebens. Unbeschreibliche Szenen auf Marktplätzen, Brücken, Straßen; das türkische Volk zusammen mit seinen gewählten Volksvertretern, der absoluten Mehrheit der Sicherheitskräfte inklusive Militär und Polizei bricht den Terror, bevor dieser die Oberhand gewinnen kann.

Meine Familie war an diesem 15. Juli spätabends in der Tükei. Meine erste Reaktion, als die Meldungen über soziale Medien und Internet eintrafen: Unmöglich, unfassbar. Dann Zweifel: Haben also einige Ewiggestrige es doch noch geschafft, das Rad der Demokratie zurückzudrehen? Aber dann Zuversicht: Nein, das wird nicht gelingen, die Türken werden auf die Straße gehen und notfalls das Militärhauptquartier stürmen, egal was es kostet, egal welche Gefahr droht. Und ich war mir sicher, dass selbst wenn Geiseln genommen würden, selbst wenn für einige kurze Zeit manche TV-Sender gestürmt würden, der Spuk schnell wieder vorbei sein würde.

Moderne Türkei passt nichtins vorgefertigte Weltbild

Terror und Amokschützen in Europa und Nordamerika - und unsere freie demokratische Welt verkündet Solidarität mit den betroffenen Ländern und Einwohnern. Auch wenn wie jüngst die Türkei von solchen verabscheuungswürdigen Taten heimgesucht wird, hört man spontane Worte des Mitgefühls. Allerdings nicht allzu lange - schon bald kehrt man anscheinend zum "business as usual" zurück, nach dem Motto: "Irgendwas stimmt da sowieso nicht in der Türkei, das war doch immer so. Belgien, Frankreich, Deutschland oder Amerika sind uns doch so viel näher . . ."

Ich selber habe die Türkei mehr als zehn Jahren lang aktiv als Kommentator begleitet, bin kreuz und quer durch dieses faszinierende Land gereist und habe Kontakte mit vielen unterschiedlichen Bevölkerungsschichten geknüpft. Und selbst ich - obwohl ein Westeuropäer - kann dieses Gefühl nicht loswerden, dass eine politisch und wirtschaftlich starke, landschaftlich sowieso schöne und nunmehr moderne Türkei irgendwie nicht in das vorgefertigte Weltbild so mancher Mitglieder meiner Zunft daheim in Europa hineinpasst. Die Menschen, die in der Türkei in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli auf die Straßen und Plätze zogen, kamen aus einem enorm breiten Bevölkerungsspektrum. Der Anti-Putsch war keine Ein-Parteien-Manifestation - es war eine Volksbewegung im Namen der Demokratie.

Es gab vereinzelte Überreaktionen mancher Übereifriger, aber im Ganzen betrachtet war es erstaunlich, dass trotz mehr als 260 fast ausschließlich durch die Putschisten getöteten Mitbürgern fast alle, die zur legalen Selbstverteidigung auf die Straßen gingen, so besonnen blieben. Die friedvolle Massendemonstration diesen Sonntag auf dem Taksim-Platz im Herzen von Istanbul ist genug Beweis für die Besonnenheit der breiten Mehrheit.

Zwei Wünsche, ohne in schwebende Verfahren einzugreifen: Erstens, dass die Zeit der Ewiggestrigen nun endgültig vorbei sein möge, ob als vermuteter Teil der oft als Hizmet bezeichneten Bewegung oder der immer kleiner werdenden ultra-nationalistischen ehemaligen Elite, die vielleicht gar nicht so unfroh war über die Tatsache, dass andere versuchen, was sie sich selber zum Glück nicht mehr zutraut, da die Türkei eine moderne Demokratie geworden ist. Und zweitens, dass genau diese moderne Türkei nun die faire Berichterstattung bekommt, die ihr zusteht.