Der Shooting-Star der US-Demokraten, Barack Obama, droht die Vorwahlen zu den Präsidentschaftswahlen gegen Hillary Clinton zu verlieren. Sein größtes Defizit: Zurückhaltung. | In der Politik geht es um Zurückhaltung und Sachlichkeit, gleichzeitig muss man aber auch aus sich herausgehen können. Letzteres wird Senator Barack Obama noch für sich entdecken müssen, damit der Funke zu seinen Wählern überspringen kann - und damit er eine Chance hat, als Kandidat der Demokraten für die US-Präsidentschaftswahl nominiert zu werden.
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Gute Schauspieler beherrschen diese Kunst; und große Präsidenten beherrschen sie. Franklin D. Roosevelt zum Beispiel konnte jederzeit dieses Gefühl der Intimität herstellen, obwohl er nur den Hörfunk zur Verfügung hatte. John F. Kennedy war auch und gerade in seinen improvisierten Momenten besonders großartig und würdevoll. Und auch Ronald Reagan beherrschte die Kunst der kontrollierten Spontanität.
Obama hat ein gewisses Charisma. Er hat sogar so viel davon, dass ihn manche als Rockstar des Wahlkampfes bezeichnen. Allerdings ist er mehr ein Paul McCartney als ein Mick Jagger: ziemlich zurückhaltend und gehemmt. Er mag ja der geistreichste aller Kandidaten sein und auch der visionärste - ist man aber mit ihm unterwegs, spürt man, dass er sehr angespannt ist. Er ist Mr. Cool. Er nimmt sich zurück, ist reserviert, immer auf der Hut, seinen Zuhörern weder seine Gefühle noch seine Verletzbarkeit zu zeigen.
In seinem Buch über Robert F. Kennedy beschreibt der Journalist Evan Thomas ähnliche Schwierigkeiten und ihre Überwindung. RFK lernte, aus sich herauszugehen und brachte dadurch seine Kandidatur richtig in Schwung. Am Anfang seiner Karriere wirkte er kalt und kalkulierend, ganz das Gegenteil seines eleganten und witzigen Bruders. Dann aber passierte etwas. Und zwar bei einer Rede an der Kansas State University, am Tag nach der Bekanntgabe seiner Kandidatur.
Zuerst war RFKs Stimme klanglos, schreibt Thomas, er stammelte, sein rechtes Bein zitterte: Ganz vorsichtig begann er seine Rede, dann legte er aber plötzlich richtig los und das Publikum reagierte dermaßen heftig, dass man glaubte, mitten in den Niagara-Fällen zu sitzen.
Ich habe mir Senator Barack Obama genau angesehen: live bei seiner Wahlkampftour und in Aufzeichnungen der Wahlkampfauftritte. Er ist ein guter Redner, aber er wirkt distanziert. Er hält sich zu sehr zurück. Auch seiner Stimme nimmt er immer wieder die Ausdruckskraft, sogar mitten in wichtigen Sätzen, und beraubt sich so seiner Wirkung.
Niemand kann besser vom amerikanischen Traum erzählen als Obama selbst, und man spürt auch, dass er richtig in Schwung kommen möchte. Bei einer Rede über Gesundheitspolitik in Iowa City wurde das sehr deutlich: Er sprach über ein Ehepaar, das vor dem Bankrott stand, nur weil einer von ihnen an Krebs erkrankt war. Reagan hätte die Zuhörer mit dieser Geschichte zu Tränen gerührt, aber Obamas Darstellung war klanglos und unpersönlich.
Auch mit dem Humor tut Obama sich schwer. Privat spürt man, dass er witzig sein kann und Sinn für das Absurde hat. Das dringt jedoch nicht bis zu seinen öffentlichen Auftritten durch. Meistens sieht er so ernst drein, dass sogar Al Gore daneben fröhlich und unbeschwert wirkt.
Wird Obama es schaffen, mehr aus sich herauszugehen? In den Umfragen liegt er mehr als 20 Prozentpunkte hinter Hillary Clinton, und sogar diejenigen, die ihn unterstützen, fürchten mittlerweile, dass sein Traum von der Präsidentschaftskandidatur bald ausgeträumt sein könnte.
In den nächsten Monaten wird sich zeigen, ob Obama es schafft, ob er die Fähigkeit hat, sich ganz der Macht des Augenblicks hinzugeben. Hat er sie nicht, wird er scheitern.
Übersetzung: Redaktion