Verhandlungen schreiten voran - aber nur über kleine Reparaturen. | Parteien verlieren durch mehr Persönlichkeitswahl absolute Kontrolle. | Wien. "Wir müssen in Richtung Persönlichkeitswahlrecht gehen, denn es gibt einen Bruch zwischen den politischen Eliten und der Bevölkerung", so Politikexperte Thomas Hofer am Donnerstag anlässlich eines Expertenhearings zum Thema Wahlrechtsreform des ÖVP-Arbeitnehmerbundes ÖAAB. | Persönlichkeitswahl macht Abgeordnete freier
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Hofer verweist auf Umfragen, die einen gefährlichen Vertrauensverlust in die Parteiendemokratie zeigen: "Schon 21 Prozent der Österreicher wollen einen starken Führer, der sich nicht mehr um ein Parlament oder Wahlen kümmern muss." Um diesem "wahrgenommenen Leadershipdefizit" zu begegnen, müssten die Parteien entmachtet und mehr Persönlichkeitselemente geschaffen werden, so Hofer.
Tatsächlich laufen Gespräche zwischen den Parlamentsparteien über eine Reform des Wahlrechts, wie ein Sprecher von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) der "Wiener Zeitung" bestätigt. Obwohl Prammer eine "schöne, große Wahlrechtsreform" will, handelt es sich bei den laufenden Gesprächen eher um Reparaturen des derzeitigen Wahlrechts. So sind Änderungen der Nachfrist bei der Briefwahl ebenso im Gespräch, wie die Aufhebung des Kandidaturverbots für Habsburger bei der Präsidentenwahl. Da ist man auch schon "relativ weit", heißt es aus dem Büro Prammer.
Bei den großen Themen - Stärkung des Persönlichkeitswahlrechts, Mehrheitswahlrecht, Abschaffung vorgezogener Neuwahlen und alle Urnengänge an einem Tag - gibt es zwar eine Einladung Prammers an die Fraktionen, konkrete Gespräche haben aber noch nicht begonnen.
Mit dem Thema Mehrheitswahlrecht liebäugeln Spitzenpolitiker immer wieder. Zuletzt hatten etwa Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll und in der Folge auch Bundeskanzler Werner Faymann Sympathien dafür gezeigt. Wirklich darüber trauen tut sich aber keiner.
Konkreter debattiert wird da schon das Persönlichkeitswahlrecht. Dieses müsse vereinfacht werden, sagt Robert Stein, Leiter der Bundeswahlbehörde im Innenministerium: "Wenn ich will, dass der Wähler wirklich einen Einfluss hat, muss ich es billiger machen." Sprich: Es muss leichter sein, über Vorzugsstimmen in einer Wahlliste nach vorne zu kommen.
Derzeit braucht man bei Nationalrats- und EU-Wahl rund acht Prozent der Stimmen einer Partei an Vorzugsstimmen, um auf Platz eins gereiht zu werden. Das gelang auf Nationalratsebene genau einmal: Josef Cap im Jahr 1983. Bei der EU-Wahl schafften dieses Kunststück Andreas Mölzer (FPÖ) 2004 und Othmar Karas (ÖVP) 2009.
Freiwillige Modelle
Einfacher geht das auf Landes- und Gemeinderatsebene - wenn die Parteien das wollen. So hat die ÖVP etwa bei Landtagswahlen in Niederösterreich oder bei Gemeinderatswahlen in Graz ein internes Vorzugsstimmensystem etabliert: Es gibt zwar eine amtliche Reihenfolge, die Mandate werden aber an die Kandidaten mit den meisten Vorzugsstimmen vergeben.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Weil jeder für sich selbst rennt, wird stärker mobilisiert; der Kontakt zu den Wählern ist enger; die Kandidaten sind nicht von der Gnade des Vorstands abhängig; der Wähler hat einen realen Einfluss auf die Beschickung der Vertretungskörper.
Doch das Modell des parteiinternen Vorzugsstimmenmodells hat auch seine Schattenseiten: Das Konfliktpotenzial zwischen den Kandidaten einer Partei ist größer; Politiker mit Fachkompetenz aber wenig Persönlichkeit bleiben auf der Strecke; auch Frauen tun sich tendenziell schwerer mit der Persönlichkeitswahl. Dazu kommt noch, dass sich auch alle Kandidaten an die Selbstverpflichtung halten müssen, also womöglich auf ein ihnen zustehendes Mandat verzichten müssen.
"Die Partei kann nicht beeinflussen, wer gewählt wird. Dadurch kann sie auch nicht für einen beruflichen oder geschlechtlichen Ausgleich sorgen. Irgendwann könnten wir so nur noch Bürgermeister im Landtag haben", sagt der niederösterreichische Landtagsabgeordnete Karl Wilfing - selbst Bürgermeister und Vorzugsstimmensieger.
Experte Hofer sieht allerdings andere Vorteile für die Parteien. Diese hätten ein "massives Rekrutierungsproblem". Die Stärkung des Persönlichkeitswahlrechts würde, so Hofer, auch zu einem Wettbewerb zwischen den Parteien um den besten Nachwuchs führen. "Sie müssten sich mehr anstrengen, gute Leute an Bord zu holen."