Durch Kurzarbeit und Jobverlust in der Corona-Krise werden mehr Menschen in die Privatinsolvenz schlittern - mit Verzögerung.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Über Wochen geschlossene Einkaufsstraßen, Milliardenausfälle im Tourismus und eine auf Sparflamme wieder hochgefahrene Gastronomie, die am Ende des Jahres laut Peter Dobcak, Gastronomie-Obmann der Wirtschaftskammer Wien, mit einem Umsatzminus von rund 45 Prozent rechnen müsse. Dazu kommt die Angst vor einer zweiten Welle, die Urlauber trotz Grenzöffnungen bremsen wird und auch viele weiterhin zuhause essen lässt, obwohl das Stammlokal schon wieder geöffnet hätte.
Es ist aber nicht die Angst vor einer zweiten Welle allein. Denn der Verlust der einen ist nicht nur Geld, das anderen übrigbleibt. Es ist vielmehr zu einem großen Teil bevorstehenden Firmeninsolvenzen, der Kurzarbeit, die mehr als eine Million Menschen betreffen könnte, und Kündigungen geschuldet: Zwischen März und Mitte April sind die Arbeitslosenzahlen laut Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) um rund 190.000 auf 588.000 Betroffene nach oben geschnellt, danach nur um 65.000 wieder gesunken. Viele geben daher heuer nicht so viel Geld aus wie gewohnt - weil sie es nicht können.
Mit einer gewissen Verzögerung wird daher voraussichtlich auch die Zahl der Privatkonkurse steigen, sagt Hans-Georg Kantner, Insolvenzexperte im Kreditschutzverband 1870 (KSV1870). Denn zu den Ursachen der Privatkonkurse zählen die Einkommensreduktion etwa durch Arbeitslosigkeit (17,7 Prozent), Verschulden (24,7 Prozent) und die ehemalige Selbständigkeit (31,1 Prozent). Ehemalige Selbständige haben durchschnittlich 175.000 Euro Schulden, bei Privathaushalten sind es etwa 50.000.
Clemens Mitterlehner, Geschäftsführer der Dachorganisation der Schuldenberater asb, rechnet mit rund 40 Prozent mehr Anfragen und einem mittelfristigen Anstieg der Privatkonkurse. Es seien vor allem all jene, die schon vor der Krise Probleme hatten, bei denen sich selbst geringe Einkommensverluste negativ auswirkten. Wie viele es letztendlich im Vergleich zum Vorjahr sein werden, lasse sich im Moment noch nicht sagen und hänge vor allem davon ab, wie schnell die Wirtschaft wieder an Fahrt gewinnt, ergänzt Kantner. Er geht jedoch davon aus, die Situation ab Mitte Juli beurteilen zu können.
Die seit 2011 fallende Tendenz der Anzahl der eröffneten Insolvenzverfahren stoppte bereits 2018 -allerdings aus einem rein rechtlichen Grund: Der Anstieg von davor rund 7000 auf mehr als 10.000 eröffnete Verfahren war laut asb der Gesetzesnovelle von 2017 geschuldet. Das neue Gesetz erleichtert die Schuldenregulierung für Einkommensschwache durch die Abschaffung der Mindestquote. Davor schafften es viele nicht, in sieben Jahren die gesetzliche Mindestquote von zehn Prozent ihrer Schulden zu tilgen - erst dann waren sie von ihren Restschulden befreit. Die generelle Möglichkeit eines Schuldenregulierungsverfahrens wurde 1995 eingeführt.
Trügerischer Rückgang von Insolvenzen
Privatkonkurse zeichneten sich jedenfalls nicht sofort ab, sagt Kantner im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Aktuell sei die Situation sogar eingefroren, weil private Haushalte und Kleinstunternehmen Verbraucherkredite (Konsumkredite, Bau- und Wohnfinanzierungen) und Darlehen an Selbständige, die zwischen 1. April und 30. Juni fällig werden, auf drei Monate stunden können. Insgesamt hätten etwa drei Millionen Menschen in Österreich finanzielle Verpflichtungen dieser Art.
Das habe zu einem Rückgang der eröffneten Privatkonkurse auf nur ein Drittel gesorgt. Lag dieser im Februar noch bei rund drei Prozent, so habe ein weitgehender Stillstand der Justiz beziehungsweise der Anträge der Schuldner seit etwa Mitte März diesen Rückgang substanziell verursacht. Seit Mitte Mai sind die Gerichte zwar wieder offen - allerdings kontrolliert und gebremst.
"Im Moment gibt es daher noch immer um bis zu 65 Prozent weniger Schuldenregulierungsverfahren an den Gerichten", sagt Kantner. Daher seien die 1896 eröffneten Privatkonkurse "keineswegs Spiegel der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung, sondern nahezu zur Gänze einem Ausnahmezustand geschuldet". Auch vereinbarte Raten im Zahlungsplan beim Privatkonkurs können übrigens gestundet werden, von denen laut Kantner etwa 50.000 Menschen in Österreich betroffen sind, und Delogierungen wurden ausgesetzt.
Und auch bei Unternehmensinsolvenzen, die mit den Privatkonkursen in engem Zusammenhang stehen können, gingen im Vorjahreszeitraum zurück. Insgesamt wurden in den ersten drei Monaten heuer 1151 Unternehmen insolvent, was einen Rückgang von rund neun Prozent gegenüber dem ersten Quartal 2019 bedeutet. Eröffnet wurden 668 Insolvenzverfahren - ein Minus von fast 14 Prozent, so Kantner. Nun gilt vorerst bis 30. Juni auch ein neues Krisengesetz, durch das die Insolvenzantragspflicht bei einer Überschuldung für Kapitalgesellschaften, also Unternehmen, bei denen niemand persönlich haftet, vorübergehend ausgesetzt wird. Insolvenzverfahren auf Gläubigerantrag sind im selben Zeitraum auch nicht zu eröffnen. Für Finanz und Gesundheitskassen ist eine Art Moratorium auf Konkursanträge vorgesehen, sodass in näherer Zukunft diese Anträge ausbleiben werden.
"Das wird dazu führen, dass im zweiten Quartal die Eröffnungen noch tiefer sinken werden, als sie das schon seit Mitte März getan haben", sagt Kantner. In Summe rechnet der KSV1870 daher mit einem Insolvenzniveau im 2. Quartal 2020 auf dem Niveau von lediglich 50 Prozent eines Normaljahres. Aber: "Zweifellos wird es noch heuer zu einem Aufholeffekt kommen und darüber hinaus zu einem Wachstum gegenüber 2019". Diese Welle werde auch noch ins Jahr 2021 hineinreichen.