Ein übertriebener Einsatz von Desinfektionsmitteln kann auf lange Sicht zu Resistenzen führen.
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Desinfektionsmittel, wohin das Auge reicht. Ob beim Betreten des Supermarkts, am Restauranteingang, im Einkaufszentrum, im Fitnesscenter oder beim Schultor - die verdächtigen weißen oder durchsichtigen Sprüh- oder Pumpfläschchen - mit oder ohne Etikett - zieren nahezu jeden Ort des Alltags. Sie sind gemeinsam mit der Maske nach wie vor ein Ausdruck dessen, womit wir immer noch konfrontiert sind - mit einer Viruspandemie. Ihre Verwendung ist vielerorts verpflichtend und soll zur Eindämmung der Infektionsraten durch Sars-CoV-2 beitragen. Doch warnt Miranda Suchomel, Leiterin des Instituts für Hygiene und Angewandte Immunologie der Medizinischen Universität Wien, nun im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" vor einem übertriebenen und unsachgemäßen Einsatz der unterschiedlichsten Lösungen. Ein Zuviel kann auf lange Sicht gesehen die Mikrobenlandschaft in unserer Umwelt verändern und zu Resistenzen führen.
Oberflächen virenfrei
Gar nicht so selten ist nach dem Gebrauch von Desinfektionsmitteln auch von Kontaktallergien, Ekzemen oder Atembeschwerden zu hören, schildert die Hygienikerin. Ein Desinfektionsmittelmangel zu Beginn der Pandemie hatte es nötig gemacht, mittels Notfallzulassungen die Produktion anzukurbeln. Das habe allerdings auch Produkte hervorgebracht, die mitunter nicht wirken oder - ungewollt - gar schädliche Substanzen enthalten, die sich unmittelbar auf die Gesundheit eines Einzelnen auswirken können.
So warnte jüngst die US-Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug Administration) vor einer Reihe an Hand-Desinfektionsmitteln. Vor allem jene, die den giftigen Bestandteil Methanol enthalten. Dieser kann am Beginn einer Destillation entstehen - dem sogenannten Vorlauf. Auch die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt AUVA warnte schon in einem Informationsblatt vor Lösungen, die aus Vorlauf hergestellt wurden. Die empfohlene Rezeptur der WHO für Hand- und Desinfektionsmittel besteht aus Alkohol, Glycerin, Wasserstoffperoxid und Wasser. Ein Mehr durch Konservierungs-, Farb- oder Duftstoffe birgt wiederum die Gefahr, dass es zu Unverträglichkeiten kommt oder durch veränderte Konzentrationen gar die erwünschte Wirkung verfehlt.
Dabei wäre die flächendeckende Desinfektion gar nicht nötig, so die Expertin. Bisher sei ihr keine Studie untergekommen, wo "tatsächlich aktiv lebende und infektiöse Viren" auf Oberflächen des alltäglichen Lebens gefunden wurden. Wenn, dann waren dies Laborstudien, in denen getestet wurde, wie lange Viren auf unterschiedlichsten Materialien leben. Das entspreche allerdings "überhaupt nicht der Realität", erklärt Suchomel. Was man findet, sei höchstens totes Virenmaterial. Ob Schule, Geschäftslokal oder Einkaufswagerl - "in diesen allgemeinen Bereichen benötigen wir gar keine Desinfektionsmittel, um Sars-CoV-2 zu inaktivieren, weil es gar nicht da ist".
Normale Basishygiene
Doch hätten die Lösungen sehr wohl eine unerwünschte Nebenwirkung. Sie reduzieren die Vielfältigkeit des Mikrobioms unserer Umwelt, erklärt die Hygienikerin. Denn viele andere Mikroorganismen, die uns im Alltag begleiten, würden mit der Desinfektion abgetötet. Dadurch nehme der Selektionsdruck unter den Übriggebliebenen ab oder auch zu. Womöglich beginnen sie sich zu wehren und werden schließlich unempfindlich gegenüber den Substanzen - also ähnlich den Antibiotikaresistenzen.
Also auf das Abtöten der Erreger verzichten? "Nein, es ist schon so, dass wir natürlich da und dort desinfizieren müssen, das ist keine Frage. Auch im eigenen Haushalt, wenn Personen offensichtlich krank sind", so Suchomel. Besonders wichtig sei aber weiterhin die normale Basishygiene, zu der geraten wird: Häufiges Händewaschen mit Seife, Kontakte reduzieren, Menschenansammlungen meiden. Ganz einfach "achtsam sein und nicht in Hysterie verfallen".