Zum Hauptinhalt springen

Mehr Schutz für Frauen in der Krise

Von António Guterres

Gastkommentare

Die Coronavirus-Pandemie bedroht nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Rechte und Freiheiten von Frauen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ersten Anzeichen zufolge stellt das Coronavirus ein größeres direktes Gesundheitsrisiko für Männer dar, insbesondere für ältere Männer. Die Pandemie legt jedoch Ungleichheiten jeglicher Art bloß und nutzt diese aus - auch die Geschlechterungleichheit. So können die Auswirkungen der Pandemie auf die Gesundheit von Frauen sowie auf deren Rechte und Freiheiten uns allen auf lange Sicht schaden.

Frauen leiden bereits unter den tödlichen Auswirkungen von Lockdowns und Quarantäne. Diese Einschränkungen sind wichtig, aber sie erhöhen das Risiko von Gewalt gegen Frauen, gefangen mit gewalttätigen Partnern. In den vergangenen Wochen haben wir einen alarmierenden globalen Anstieg an häuslicher Gewalt verzeichnet: Die größte Hilfsorganisation im Vereinigten Königreich berichtete von einem 700-prozentigen Anstieg der Anrufe. Gleichzeitig haben Unterstützungseinrichtungen für Frauen Einschnitte und Schließungen erlitten.

Schlecht bezahlte Jobs, dreimal so viel Hausarbeit wie Männer

Dies war der Hintergrund für meinen jüngsten Aufruf zu Frieden in unseren Häusern auf der ganzen Welt. Seither haben sich 143 Regierungen verpflichtet, Frauen und Mädchen, die während der Pandemie Gewalt ausgesetzt sind, zu unterstützen. Jedes Land kann eingreifen, indem Dienste online angeboten werden, Notunterkünfte bei häuslicher Gewalt erweitert und zur Verfügung gestellt werden sowie die Unterstützung für Organisationen an vorderster Front erhöht wird. Die Vereinten Nationen arbeiten in Partnerschaft mit der EU, der "Spotlight Initiative" und Regierungen in mehr als 25 Ländern an diesen und ähnlichen Maßnahmen und sind bereit, die Unterstützung zu erweitern.

Aber die Bedrohung der Rechte und Freiheiten von Frauen durch Covid-19 geht weit über physische Gewalt hinaus. Der tiefe Konjunktureinbruch, der mit der Pandemie einhergeht, hat wahrscheinlich ein deutlich weibliches Gesicht. Die unfaire und ungleiche Behandlung berufstätiger Frauen ist ein Grund, warum ich einst in die Politik ging. Als ich in den späten 1960ern als Student freiwillige Sozialarbeit in armen Gegenden von Lissabon leistete, sah ich Frauen in schwierigen Situationen niedrige Arbeiten verrichten und die Last der Großfamilien tragen. Ich wusste: Das muss sich ändern - und ich habe wichtige Veränderungen zu meinen Lebzeiten gesehen.

Jahrzehnte später besteht durch Covid-19 die Gefahr, dass diese Bedingungen für Frauen auf der ganzen Welt zurückkehren und sich sogar verschlechtern werden. Frauen sind unverhältnismäßig stark in schlecht bezahlten Jobs ohne Ansprüche vertreten - als Hausangestellte, Gelegenheitsarbeiterinnen, Straßenverkäuferinnen und in kleinen Gewerben wie etwa Friseuren. Die Internationale Arbeitsorganisation schätzt, dass weltweit fast 200 Millionen Jobs bereits in den nächsten drei Monaten verloren gehen werden - viele davon in genau diesen Bereichen. Und gerade dann, wenn sie ihre bezahlten Anstellungen verlieren, werden viele Frauen mit einem enormen Anstieg von Fürsorgetätigkeiten konfrontiert, aufgrund von Schulschließungen, überlasteten Gesundheitssystemen und erhöhten Bedürfnissen älterer Menschen. Wir wollen auch nicht die Mädchen vergessen, deren Ausbildung verkürzt wird. In manchen Dörfern von Sierra Leone fiel nach der Ebola-Epidemie die Schuleinschreibungsrate von jugendlichen Mädchen von 50 auf 34 Prozent, mit lebenslangen Auswirkungen für ihr Wohlergehen und das ihrer Kommunen und Gesellschaften.

Uns allen schadet der Mangel an weiblichen Spitzenpolitikern

Auch viele Männer sehen sich Jobverlusten und gegensätzlichen Anforderungen ausgesetzt. Doch selbst zu den besten Zeiten verrichten Frauen dreimal so viele Hausarbeiten wie Männer. Das bedeutet, dass meistens sie die Kinder betreuen, wenn die Firmen wieder aufsperren, die Schulen jedoch geschlossen bleiben - wodurch sich ihre Rückkehr ins Berufsleben verzögert.

Verwurzelte Ungleichheiten bedeuten auch: Obwohl Frauen 70 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitswesen ausmachen, übersteigt sie die Zahl der Männer in führenden Positionen erheblich. Nur eine von zehn politischen Führungskräften weltweit ist eine Frau - was uns allen schadet. Wenn bei dieser Pandemie Entscheidungen getroffen werden, brauchen wir Frauen mit am Tisch, um Extremfall-Szenarien wie eine zweite Zuspitzung von Infektionen, Arbeitskräftemangel und sogar soziale Unruhen zu verhindern.

Frauen in unsicheren Berufen brauchen dringend einen sozialen Mindestschutz, von der Krankenversicherung bis zu bezahltem Krankenstand, Kinderbetreuung, Einkommensschutz und Arbeitslosengeld. Vorausschauend müssen Maßnahmen für die Ankurbelung der Wirtschaft wie etwa Bargeldüberweisungen, Kredite, Darlehen und Rettungsschirme speziell auf Frauen ausgerichtet werden - egal, ob sie Vollzeit in der formellen Wirtschaft, als Teilzeit-Saisonarbeiterinnen in der informellen Wirtschaft oder als Unternehmerinnen und Geschäftsinhaberinnen tätig sind.

Die Coronavirus-Pandemie hat deutlicher denn je gezeigt, dass unbezahlte Hausarbeit von Frauen sowohl die öffentlichen Dienstleistungen als auch die privaten Profite finanziell unterstützt. Diese Arbeit muss in ökonomische Messgrößen und Entscheidungsfindungen einbezogen werden. Wir alle werden von Arbeitsvereinbarungen profitieren, die Betreuungsaufgaben anerkennen, und von inklusiven Wirtschaftsmodellen, die die Arbeit zu Hause wertschätzen. Diese Pandemie ist nicht nur eine Herausforderung für globale Gesundheitssysteme, sondern auch für unsere Verpflichtung für Gleichheit und Menschenwürde. Wenn wir die Interessen und Rechte von Frauen ins Zentrum rücken, können wir diese Pandemie schneller überwinden und widerstandsfähigere Gemeinschaften und Gesellschaften mit mehr Chancengleichheit schaffen, von denen alle profitieren.