Gerichte sollen Produkte vom Markt nehmen dürfen, die auf Spionage bauen.
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Wien. 2013 wurde jedes vierte Unternehmen in der Europäischen Union Opfer eines Informationsdiebstahls, das belegt der aktuelle Global Fraud Report. Die Industriespionage feiert in der globalen Wirtschaft also fröhliche Urstände, und Österreich ist auch diesbezüglich keine Insel der Seligen. Experten schätzen den jährlichen Schaden für betroffene heimische Unternehmen auf bis zu drei Milliarden Euro. Nun will die EU-Kommission mit neuen Vorschriften zum Schutz von vertraulichem Know-how und Geschäftsinformationen diesen Missstand bekämpfen.
Geistiges Eigentum
"Cyber-Kriminalität und Industriespionage sind leider Teil der Realität, mit der sich Unternehmen tagtäglich konfrontiert sehen", begründet der für Binnenmarkt und Dienstleistungen zuständige EU-Kommissar Michel Barnier die Gesetzesinitiative. "Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Gesetze mit der Zeit gehen und dass die strategischen Trümpfe unserer Unternehmen ausreichend vor Diebstahl und missbräuchlicher Nutzung geschützt werden."
Nach Intention der Kommission soll der Schutz des Geschäftsgeheimnisses den Bereich der Rechte des geistigen Eigentums künftig ergänzen. Denn anders als bei patentierten Erfindungen oder durch Urheberrechte geschützten Werken besitzt der Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses, wie etwa einer Formel, eines Rezepts oder eines Marketingkonzepts, kein Exklusivrecht an dem von ihm geschaffenen Produkt. Wettbewerber und Dritte können dieselbe Formel entdecken, entwickeln und frei nutzen. Rechtlich geschützt sind Geschäftsgeheimnisse nur dann, wenn vertrauliche Informationen mit unrechtmäßigen Mitteln - zum Beispiel durch Diebstahl oder Bestechung - beschafft wurden. Mit der vorgeschlagenen Richtlinie will man innovativen Unternehmen ermöglichen, sich gegen derart unlautere Praktiken besser wehren zu können.
Schadenersatz
So sieht die Richtlinie vor, dass nationale Gerichte unter anderem Produkte vom Markt nehmen dürfen, durch die Geschäftsgeheimnisse verletzt werden. Und Spionage-Opfer sollen künftig leichter Schadenersatz erhalten können. Die Kommission will damit das Schutzniveau in der Europäischen Union an das in Japan und den USA angleichen, vor allem aber die derzeit bestehenden rechtlichen Unterschiede zwischen den EU-Ländern beseitigen. So gibt es zum Beispiel in Deutschland, Finnland, Griechenland, Dänemark und Spanien keine Definition darüber, was Geschäftsgeheimnisse überhaupt sind.
Auch in Österreich fehlt eine gesetzliche Definition, was genau unter einem Betriebsgeheimnis zu verstehen ist. "Die Auslegung obliegt der Judikatur", bestätigt das Wirtschaftsministerium auf Anfrage der "Wiener Zeitung". Experten des Ministeriums gehen nun davon aus, dass bei Inkrafttreten der Richtlinie eine Anpassung im Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) notwendig sein wird.
Gefahr für KMU
Eine fatale Folge dieser uneinheitlichen Rechtslage ist, dass lediglich 40 Prozent der betroffenen Unternehmen versuchen, Schadenersatz zu bekommen. Sie scheuen davor zurück, sich an Zivilgerichte zu wenden, weil sie sich nicht sicher sein können, dass ihre Geschäftsgeheimnisse vor Gericht tatsächlich bewahrt werden. "Besonders wichtig ist der Schutz von Geschäftsgeheimnissen für kleinere, weniger gut etablierte Firmen in der EU", betont Antonio Tajani, Vizepräsident der EU-Kommission. "Sie setzen in stärkerem Maße als größere Unternehmen auf Geschäftsgeheimnisse. Zum Teil liegt dies an den Kosten einer Patenterteilung und des Schutzes vor Verletzungen ihrer Rechte."
Doch der Verlust eines Geschäftsgeheimnisses und die Offenlegung einer wichtigen Erfindung gegenüber den Mitbewerbern kann für ein mittelständisches Unternehmen einen katastrophalen Wertverlust und Ergebniseinbruch bedeuten. "Mit den vorgeschlagenen Rechtsvorschriften will die Kommission das Auskommen der Unternehmen in der EU und deren Geschäftsgeheimnisse, die daran einen zentralen Anteil haben, sichern", erläutert Tajani.
Aus für Whistleblower?
Zu einem "größeren Problem" könnte die Richtlinie allerdings für sogenannte Whistleblower werden, befürchtet das deutsche Whistleblower Netzwerk. Die Definition der Richtlinie deckt nämlich nahezu jedes Geschäftsgeheimnis ab, so etwa auch das Verheimlichen illegaler Tätigkeiten. Machen sich Whistleblower also künftig strafbar? Im Wirtschaftsministerium versucht man zu beruhigen: "Nein, laut EU-Kommission trifft das nicht zu, weil für das Thema Whistleblowing im Richtlinien-Entwurf Ausnahmen vorgesehen sind." Wie effektiv diese in der Praxis sein werden, bleibt wohl abzuwarten.