Der Ausbau des Straßennetzes führt zu mehr Autoverkehr, mehr öffentliche Verkehrsmittel verlagern ihn weg von diesem - das zeigt das Beispiel der Pendlereinfahrten vom Westen und von Gänserndorf aus nach Wien.
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Christian Rittler und sein Ingenieursbüro für Verkehrswesen und Verkehrswirtschaft analysieren die Verkehrsbewegungen über die Stadtgrenzen Wiens hinweg seit Jahren. Rittler zeigte zum Beispiel dem Land Niederösterreich zuletzt für 2016 auf, welche Verkehrsmittel auf den Einfahrtskorridoren nach Wien benutzt werden. Die für Umwelt- und Klimaschutzbewusste erfreuliche Nachricht im Vergleich zur Erhebung der Jahre 2008 bis 2010 lautet: "Generell zeigt sich ein Megatrend hin zum öffentlichen Verkehr."
Rittlers Detaildaten allerdings zeigen große Unterschiede zwischen den Pendlerinnen und Pendlern, die zwischen fünf und neun Uhr in der Früh die Stadtgrenze nach Wien überqueren: Vom Süden Österreichs aus über Mödling nach Wien fuhren 2016 20.000 mit öffentlichen Verkehrsmitteln, acht Jahre davor waren es 16.000 - das ist eine Steigerung von 25 Prozent. Zugleich stieg allerdings auch der motorisierte Individualverkehr über den Einfahrtskorridor Mödling an, und zwar um fünf Prozent auf 45.950 im Jahr 2016.
Deutlich anders als dem Trend entsprechend entwickelten sind zwei Einfahrtskorridore nach Wien: In jenem aus Richtung St. Pölten werden viel häufiger Öffis für den Arbeitsweg genutzt und aus der Richtung Gänserndorf kommen heute noch mehr Pendlerinnen und Pendler über die Stadtgrenze mit dem Auto als vor wenigen Jahren.
Parkraumbewirtschaftung und rasche Bahn vertreiben Autos
Konkret stieg die Anzahl jener, die aus der Richtung St. Pölten in den Morgenstunden mit der Bahn nach Wien kamen zwischen der Messung von 2008 bis 2010 und jener im Jahr 2016 von 6045 auf 10.200 an - also um 69 Prozent. Auf das eigene motorisierte Verkehrsmittel für den Arbeitsweg verzichteten im selben Zeitraum 1170 Personen. 2016 fuhren 12.350 mit dem eigenen Fahrzeug nach Wien, um neun Prozent weniger als rund acht Jahre davor.
Die Ursachen dafür: Die Westbahnstrecke wurde zu einer Hochleistungsstrecke ausgebaut, "was die Fahrzeit halbierte und ein wesentlicher Pullfaktor für den öffentlichen Verkehr war", sagt Rittler. Damit sei dieser "in Niederösterreich im wahrsten Sinne des Wortes auf ein neues Gleis gestellt worden", sagte der damalige Landeshauptmann Erwin Pröll bei der Festveranstaltung am neuen Bahnhof Tullnerfeld im November 2012. Seit 2011 fährt auf dieser Strecke auch die "WestBahn", es gibt also mehr Angebot.
Wien weitete die Parkraumbewirtschaftung auf Bezirke außerhalb des Gürtels aus: 2012 kamen zum Beispiel Teile des zwölften, des 14., 16. und 17. sowie der gesamte 15. Bezirk hinzu - "einen substanziellen Push-Faktor" nennt das Rittler, der Autos mangels günstiger Parkgelegenheit offenbar aus dem Westen der Stadt fernhält.
Für Pröll waren allerdings auch die neu eröffneten Teilstrecken der Wiener Außenring Schnellstraße, der S1, "ein Segen", für die Bewältigung der Verkehrssituation und den Standort, wie er bei den Freigaben neuer Straßenstücke für Autos betonte. Für die Förderung für umweltfreundliches Pendeln waren sie das nicht. "Wenn man Straßen baut, fährt auch jemand drauf", lautet die lapidare Antwort Rittlers. Wobei es nicht ganz so einfach ist: "Wenn es gute Umstiegsmöglichkeiten gibt, fahren viele mit dem Auto zur U-Bahn oder Schnellbahn und dann mit dieser weiter zur Arbeit."
Aus Richtung Gänserndorf kommend war das jedenfalls nicht so: 2016 fuhren 10.300 in der Früh mit ihrem Auto nach Wien - also 22 Prozent mehr als wenige Jahre davor. Für zehn Prozent war die bessere Straße ein Grund auf Öffis zu verzichten: 2016 passierten nur mehr 5550 diese Stadtgrenze in Öffis, bei der Messung an einem Tag zwischen 2008 und 2010 waren es noch 6150.
Wie die "Wiener Zeitung" berichtete, gebe es das Potenzial von mehr als 50.000 der Pendlerinnen und Pendler, die aus dem Süden Wiens kommend mit Öffis statt ihrem Auto zur Arbeit fahren könnten. Zumindest theoretisch, praktisch sagt Rittler: "Nur wenn die Strecken rascher ausgebaut werden." Am Plan steht der Ausbau der Pottendorfer Linie. Auch ein viergleisiger Ausbau der Südbahn steht am Plan. Rittler glaubt aber, bei der türkis-grünen Regierung politischen Willen zu erkennen, solche Projekte zu beschleunigen.