Die Wähler haben gesprochen, entschieden haben sie wenig. Neue Parteien an der Macht sind trotzdem meist gut.
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Chapeau Österreich! Es ist keine geringe Leistung, ein demokratisches Modell zu zimmern, das im Kern darauf abzielt, den Einfluss der Wähler so gering wie möglich zu halten. Wahlen sind in unserem System lediglich die erste Stufe im Prozess der Machtverteilung; welche Partei es dann in die Regierung schafft und welche sich mit dem harten Brot der Opposition begnügen muss, dieses entscheidende Match findet erst nach der Entscheidung der Wähler und - dies vor allem - ohne ihr Zutun statt.
Als einziger Maßstab gilt das Kräfteverhältnis im Parlament, egal ob dieses nun Nationalrat, Landtag oder Gemeinderat heißt. Dabei gilt, wenn es hart auf hart geht, das Prinzip der geringstmöglichen Mehrheit, wie das Beispiel von Wiener Neustadt soeben wieder einmal bewiesen hat. Die stimmenstärkste Partei, die SPÖ, muss sich hier einer bunten und politisch recht ungewöhnlichen Allianz von ÖVP, FPÖ, Grünen und diversen Bürgerlisten unterordnen.
Das ist natürlich Pech für die SPÖ, aber undemokratisch ist daran grundsätzlich nicht das Geringste. Im Gegenteil: Die Minimierung des direkten Wählereinflusses war über Jahrzehnte hinweg erklärter Wille und politische Praxis in der Republik. Und selbst gegen die Möglichkeit, sich einmal in der Rolle der politischen Minderheit wiederzufinden, haben die Parteien Vorsorge getroffen: In sämtlichen Gemeinden und Städten und nach wie vor in einigen Ländern ist jede Partei ab einer bestimmten Größe automatisch auch in der Exekutive vertreten. Um eine Partei auf kommunaler Ebene von jeglichem Einfluss zu befreien, müssten die Wähler sie also schon aus dem Gemeindeparlament werfen. In Österreich gilt für Parteien, wenn es um die Macht geht: Etwas geht eigentlich fast immer.
Nicht der historische Machtwechsel in Wiener Neustadt ist deshalb die aktuelle Aufregung wert, sondern die Tatsache, dass es in Österreich viel zu wenige solcher Machtwechsel gibt. Das gilt für den Bund, in den Ländern und ganz besonders in den Gemeinden, wo strukturelle Mehrheitsparteien jenseits der 50-Prozent-Marke die allgemeine Regel und nicht nur eine rare Ausnahme sind. Wenn Parteien, egal welcher Farbschattierung, nach Jahrzehnten ununterbrochener Machtausübung abgelöst werden, ist das deshalb kein Tabubruch, sondern - im Gegenteil - das Erreichen eines längst überfälligen Zustands demokratiepolitischer Normalität. Und auch das gilt für Bund, Länder und Gemeinden gleichermaßen. Die gewaltfreie Ablöse der Mächtigen in regelmäßigen Abständen ist so gesehen ein Kernelement demokratischer Politik. Ohne dieses Wechselspiel von Mehr- und Minderheit fehlt Entscheidendes.
Das Problem ist, dass in Österreich auch diese Frage allein den Parteien überlassen bleibt: Nicht die Bürger wählen eine Partei ab, sondern die Parteien verhandeln untereinander die künftige Machtverteilung aus.
In einer solchen Situation ist die Verlockung natürlich verführerisch für die Verliererseite in diesem Machtspiel, eine Geschichte von Neid, Niedertracht und Missgunst zu erzählen. Schuld am eigenen Machtverlust sind dann nicht die eigenen Versäumnisse, sondern die Machtgier der politischen Konkurrenz.
Besser wäre es, die Wähler trügen die Verantwortung.