Vor allem VW-Kunden in den USA könnten durch den Rückruf ein anderes Auto zurückbekommen als jenes, das sie gekauft haben.
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Wolfsburg. Dass die größte Rückrufaktion in der Konzerngeschichte teuer werden wird, ist allen Beteiligten von Anfang an klar gewesen. Bereits zwei Tage, nachdem der damalige Volkswagen-Chef Martin Winterkorn den massiven Betrug bei Abgastests in den USA eingeräumt hat, legte Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch das Geld zur Seite. Für eventuelle Service-Maßnahmen reservierte der künftige Aufsichtsratschef, der nun so schnell wie möglich bestellt werden soll, 6,5 Milliarden Euro.
Im Gegensatz zu den Investoren - die zusätzlich zur Gewissheit, dass es teuer werden wird, auch schon über ein paar Kennzahlen verfügen - gibt es für die elf Millionen betroffenen Fahrzeughalter noch deutlich weniger Klarheit. Matthias Müller, der neue Mann am Steuer des größten europäischen Autobauers, hat zwar angekündigt, dass die betroffenen Kunden "in den "nächsten Tagen" darüber informiert werden sollen, dass das "Abgasverhalten ihres Fahrzeuges" nachgebessert werden muss. Wie das genau passieren soll, hat Müller allerdings nicht erklärt. Der Konzernchef ist aber nicht der Einzige, der die Einzelheiten ausgeklammert hat. "VW hat leider noch keine technischen Details dazu bekanntgegeben, worum es überhaupt geht", sagt Friedrich Eppel, stellvertretender Cheftechniker beim Automobilklub ÖAMTC gegenüber der "Wiener Zeitung".
Für Experten wie Eppel ist es vor allem ein Rätsel, warum die Software zur Abschaltung von Abgasreinigungssystemen überhaupt in europäischen Diesel-Modellen des VW-Konzerns zu finden ist. Denn anders als in den Vereinigten Staaten, wo die Grenzwerte auch für Selbstzünder schon seit jeher sehr streng sind, galt in der EU bis zum 1. September die Euro-5-Norm. Und diese war auch ohne komplexe Abgasreinigungssysteme wie etwa die in den USA manipulierte Harnstoffeinspritzung zu erreichen.
Für europäische Fahrzeughalter könnte die weniger aufwendige Abgasnachbehandlung aber immerhin bedeuten, dass bei ihren Autos nur ein Softwareupdate aufgespielt werden muss. Im besten Fall liegen die Auswirkungen auf Verbrauch oder Leistung dabei unter der Wahrnehmungsschwelle.
Deutlich anders sieht das hingegen für die rund 500.000 US-Kunden aus, die nach dem Rückruf möglicherweise ein deutlich verbrauchsintensiveres oder leistungsärmeres Auto zurückbekommen. So verfügt der 2008 eingeführten VW Jetta über einen sogenannten NOx-Speicherkatalysator, in dem die giftigen Stickoxide gesammelt werden. Ist ein gewisses Sättigungsniveau erreicht, wird der Katalysator während der Fahrt durch eine zusätzliche Kraftstoffeinspritzung regeneriert, was bei VW aber nur teilweise oder gar nicht passiert ist. Wenn das manipulierte System im Zuge des Rückrufs nun wieder in den Soll-Zustand zurückversetzt wird, kommen auf den Besitzer unweigerlich höhere Treibstoffkosten zu, denn gerade der Jetta soll enorm viel Sprit brauchen, um den vergleichsweise kleinen Filter zu reinigen. Weil Reinigungssysteme den Abfluss der Abgase behindern, könnten zudem auch einige PS auf der Strecke bleiben.
Beim ebenfalls manipulierten US-Passat könnte auf die Besitzer zudem noch ein weiteres Ärgernis zukommen. Bei diesem Modell wird das Abgas durch das Einspritzen einer Harnstoff-Lösung (AdBlue) gereinigt, die Stickoxide zu harmlosen Wasserdampf und Stickstoff umwandelt. Unter realen Fahrbedingungen, etwa bei starken Beschleunigungen, leert sich der Vorratstank für AdBlue jedoch schneller, als den Kunden lieb sein kann, weshalb hier offenbar ebenfalls manipuliert worden ist.
Viel Raum für Klagen
Eine auch im Straßenbetrieb mit voller Leistung arbeitende Harnstoffeinspritzung würde für die meisten US-Kunden des VW-Konzerns wohl deutlich häufigere Werkstattbesuche bedeuten. Denn Adblue wird in den Vereinigten Staaten nur von sehr wenigen Tankstellen angeboten und wird daher in der Regel bei der vorgeschriebenen Inspektion aufgefüllt. Passiert das nicht rechtzeitig, lässt sich das Auto aufgrund einer elektronischen Wegfahrsperre nicht mehr starten.
"Ein Softwareupdate, das Einfluss auf die Leistung, den Dieselkonsum und den Harnstoffverbrauch hat, wird zweifellos einen Einfluss auf den Wiederverkaufswert und das Marktinteresse haben", sagt Kevin Riddell, der als Marktanalyst bei LMC Automotive arbeitet. In den USA haben schon tausende VW-Besitzer, die sich getäuscht fühlen, spezialisierte Anwaltskanzleien kontaktiert. Für VW dürfte das ordentlich ins Geld gehen, im schlimmsten Fall könnte der Streitwert der in diesen Fällen üblichen Sammelklagen sogar die budgetierten Rückrufkosten von 6,5, Milliarden Euro noch einmal übersteigen.