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Mehr verloren als nur eine Wahl

Von Stefan Melichar

Analysen

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Gleich im ersten Test nach Übernahme des französischen Präsidentenamts durch François Hollande hat die politische Achse Paris-Berlin versagt. Wie berichtet, konnten Deutschland und Frankreich ihren gemeinsamen (französischen) Kandidaten für den Posten des Präsidenten bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) nicht durchbringen. Gewählt wurde der Brite Suma Chakrabarti.

Dadurch könnte nicht nur die geplante Aufteilung anderer europäischer Top-Jobs in den kommenden Monaten gehörig durcheinandergeraten. Wesentlich bedrohlicher wirkt, dass die Eurozone - deren wichtigste Proponenten nun einmal die Regierungen in Paris und Berlin sind - international zunehmend ins politische Abseits zu rücken scheint. Dorthin hätte man auf dem Kontinent gerne die Briten geschoben. Tatsächlich werden aber angesichts der seit zwei Jahren ungelösten Staatsschuldenkrise Zweifel an der Problemlösungskompetenz der Währungsunion immer lauter - und zwar nicht nur in Übersee und jenseits des Ärmelkanals.

Informierten Kreisen zufolge soll ausgerechnet Polen bei der geheimen EBRD-Wahl den Ausschlag zugunsten des britischen Kandidaten gegeben haben. Das könnte nicht nur angeblichen Personalversprechen in Richtung Warschau geschuldet sein. Tatsächlich steigt im Osten der Ärger darüber, dass Westeuropa die Krise nicht in den Griff bekommt und damit ganz Europa wirtschaftlich nach unten zieht. Die Polen dürften in der dritten Wahlrunde nach dem Ausscheiden ihres eigenen Kandidaten für Chakrabarti gestimmt haben. Die Unterstützung der USA und von Staaten wie Australien oder Neuseeland soll ihm ohnehin sicher gewesen sein.

Damit ist gleich die erste von vier wichtigen Postenvergaben anders gelaufen als geplant. Ursprünglich wäre - kolportierterweise - Folgendes vorgesehen gewesen: Frankreich bekommt den EBRD-Job, Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble wird Vorsitzender der Eurogruppe, eine Spanierin übernimmt die Leitung des permanenten Euro-Hilfsfonds ESM und ein Luxemburger wird Direktoriumsmitglied bei der Europäischen Zentralbank. Mit der Wahl eines Briten zum EBRD-Präsidenten muss die Balance im Länderproporz nun neu gefunden werden.

Anders als bei der Wiederaufbau-Bank wird bei den anderen drei Posten die Entscheidung auf jeden Fall von Eurostaaten dominiert. Hier müssten Deutschland und Frankreich - so sie sich einig sind - also die Richtung vorgeben können. Hollande hat am Wochenende allerdings bereits Kritik an einer Machtausweitung für Schäuble durchklingen lassen.