Eine aktive Wettbewerbspolitik ist automatisch auch eine aktive Sozialpolitik.
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Helmut Schmidt hat einmal gesagt: "Märkte sind wie Fallschirme: Sie funktionieren nur, wenn sie offen sind." Märkte sind dann offen, wenn neue Unternehmen jederzeit in sie eintreten sowie bestehende ausscheiden können und kein Unternehmen über eine ausgeprägte Marktmacht verfügt. Unter diesen Bedingungen funktioniert der Wettbewerb besonders gut. Die Wettbewerbspolitik hat in marktwirtschaftlich geprägten Gesellschaften die Aufgabe, die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zu setzen und Marktkonzentrationstendenzen entgegenzuwirken. In Österreich fällt diese Aufgabe der Bundeswettbewerbsbehörde zu, auf europäischer Ebene der EU-Kommission.
Das österreichische Verhältnis zu Wettbewerb lässt sich als ambivalent beschreiben: Wettbewerb ist dann besonders gut, wenn andere ihm ausgesetzt sind. Sich selbst in wettbewerblichen Situationen zu behaupten, behagt vielen nicht so sehr. Unternehmen können in wenig kompetitiven Märkte ihre Gewinne steigern, und sind somit stets bestrebt, den Wettbewerb zu beschränken. Zusätzlich fehlt in Österreich eine wettbewerbspolitische Tradition. Die österreichische Sozialpartnerschaft beruht auf dem Prinzip des Korporatismus. Ökonomische Renten, die in einem Markt erwirtschaftet werden können, werden zwischen den Unternehmen und den Beschäftigten aufgeteilt. Die Konsumentinnen und Konsumenten sitzen in den sozialpartnerschaftlichen Verhandlungen nicht mit am Tisch, ihr Interesse an niedrigen Preisen und einer breiten Auswahl an Produkten wird nicht explizit vertreten.
Auch die Politik ist derweilen bestrebt, aus normativen Überlegungen den Wettbewerb in Märkten zu beschränken. So hat etwa die Bundesregierung im Jahr 2021 mit dem "Kartell- und Wettbewerbsrechts-Änderungsgesetz" die Ausnahmetatbestände vom Kartellverbot trotz Kritik aus der Wissenschaft für Unternehmen aus dem Umweltbereich und der nachhaltigen Wirtschaft aufgeweicht. In diesen Branchen können Unternehmen unter gewissen Voraussetzungen Kartellabsprachen treffen und den Wettbewerb beschränken, ohne von der Wettbewerbsbehörde sanktioniert werden zu können. Das vor einigen Wochen von der Bundesregierung angekündigte Maßnahmenpaket zur Stärkung des Wettbewerbs ist sinnvoll, sollte jedoch zusätzlich auch diese Wettbewerbsbeschränkung zurücknehmen. Die Transformation zu einem auf erneuerbaren Energieträgern beruhenden Energiesystem wird uns als Gesellschaft sonst mehr als notwendig kosten.
Auf europäischer Ebene hat man die Möglichkeiten, die eine aktive Wettbewerbspolitik bietet, erkannt. Neben den öffentlichkeitswirksamen Verfahren gegen Internetkonzerne wird die soziale Dimension der Wettbewerbspolitik im Rahmen der "Making Markets Work for People"-Initiative der Europäischen Kommission thematisiert. Eine aktive Wettbewerbspolitik ist automatisch auch eine aktive Sozialpolitik, die noch dazu den Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nichts kostet: Intensiver Wettbewerb drückt die Preise und trägt zu einer Entlastung der Konsumentinnen und Konsumenten bei. Um diesem Anspruch genügen zu können, benötigen die Wettbewerbsbehörden entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen, Unabhängigkeit und ausreichende personelle Ressourcen.
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