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Mehr Würde für Betreuungsfälle

Von Wenzel Müller

Wirtschaft

Altenheime gewinnen an Transparenz. | Neues Heimaufenthaltsgesetz bringt mehr Rechtssicherheit. | Wien. Der Bewohner eines Alten- und Pflegeheims wird an seinen Rollstuhl angegurtet. Das war und ist normaler Alltag in der Altenbetreuung. Seit 1. Juli dieses Jahres sind die verantwortlichen Ärzte allerdings dazu verpflichtet, diesen Akt der Freiheitsbeschränkung zu dokumentieren und zu melden - dadurch wird dessen Zulässigkeit nun besser überprüfbar. Das neu erlassene Heimaufenthaltsgesetz bringt mehr Rechtssicherheit in diese bislang eher rechtliche Grauzone.


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Selbstbestimmung so lange wie möglich

Über Jahre, ja Jahrzehnte wurde debattiert. Nun wurde, man möchte fast sagen: endlich das Heimaufenthaltsgesetz erlassen, das sich dem Schutz der Freiheitsrechte der Bewohner von Alten- und Pflegeeinrichtungen (und vergleichbaren Institutionen) verschrieben hat. Im Psychiatriebereich gibt es schon seit längerem eine vergleichbare Regelung, das Unterbringungsgesetz, an dem man sich denn auch bei der Ausarbeitung des neuen Gesetzes orientierte.

Zwingende Maßnahmen zu schnell gesetzt

Die Alten- und Pflegeheime fallen in den Zuständigkeitsbereich der einzelnen Länder. Das Heimaufenthaltsgesetz ist allerdings Bundesgesetz, gilt also bundesweit für alle Heime. Der Staat wollte damit nicht zuletzt auch auf symbolischer Ebene betonen, wie sehr ihm das hohe Gut Privatautonomie und Selbstbestimmung seiner Bürger am Herzen liegt. Eben auch der älteren Bürger. Er möchte ihre Recht schützen - und hält zu diesem Zweck in dem neuen Gesetz genau fest, unter welchen Bedingungen sie allein beschränkt werden können.

Freiheitsbeschränkung als ultima ratio

Welche freiheitsbeschränkenden Maßnahmen sind überhaupt typisch für Heime? Beispielsweise das Angurten an den Rollstuhl. Oder das Einsperren in einen Raum. Oder die Ruhigstellung mit Medikamenten. Allgemein formuliert: Eine Freiheitsbeschränkung liegt dann vor, "wenn eine Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Mitteln oder durch deren Androhung unterbunden wird". Und das völlig unabhängig vom jeweiligen Zeitausmaß.

Eine Freiheitsbeschränkung kann nach neuer gesetzlicher Regelung nur dann vorgenommen werden, wenn

- der Bewohner psychisch krank oder geistig behindert ist und infolge dieser Art von Handlungsunfähigkeit seine eigene Gesundheit oder die anderer ernsthaft gefährdet ist.

- die Beschränkung zur Abwehr dieser Gefahr unerlässlich und geeignet ist

- diese Gefahr nicht durch andere Maßnahmen, insbesondere schonendere Pflege- und Betreuungsmaßnahmen, abgewendet werden kann.

Es wird deutlich, dass der Gesetzgeber in der Freiheitsbeschränkung eine "ultima ratio" sieht. Erst sind alle anderen Maßnahmen auszuschöpfen, und es muss eine "ernsthafte", nicht irgendeine Gefährdung vorliegen. Damit sind ab sofort beliebte Begründungen von Seiten des Heimpersonals wie "eine Gesundheitsgefährdung kann nicht ausgeschlossen werden" nicht mehr gültig, auch das intendierte "Wohl des Heimbewohners" allein rechtfertigt noch nicht eine Freiheitsbeschränkung.

Pflicht zur Aufklärung und Dokumentation

Konkret: Ein Arzt, der einen Heimbewohner an den Rollstuhl angurtet, weil der dann einfach pflegeleichter ist, handelt rechtswidrig. Wer das allerdings tut, weil der Heimbewohner akut sturzgefährdet ist, nimmt eine zulässige Freiheitsbeschränkung vor. Dieser Arzt (oder Heimleiter, gegebenenfalls auch diplomiertes Pflegepersonal) muss in diesem Fall, so bestimmt es weiter das Gesetz, noch bestimmte formale Kriterien erfüllen, nämlich den Heimbewohner über die Maßnahme aufklären, den Fall dokumentieren (Grund, Art, Beginn und voraussichtliche Dauer der Freiheitsbeschränkung) und ihn der Heimleitung melden. Die wiederum hat dann die Bewohnervertretung (in der Regel vom Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft) und eine Vertrauensperson des betroffenen Heimbewohners zu verständigen.

Mehr Papierkram - mehr Transparenz

Auf die zuständigen Ärzte kommt nun also mehr Schreibarbeit zu - jeder Akt der Freiheitsbeschränkung will begründet sein. Sowohl für die Bewohner wie auch das Personal in den Heimen erhöht sich durch die klaren Vorgaben des neuen Gesetzes allerdings auch die Rechtssicherheit. Und nicht zuletzt gewinnen die Heime an Transparenz: Nun kann auf Antrag vom Bewohner oder einem seiner Stellvertreter jede Freiheitsbeschränkung vom Bezirksgericht auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden.