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Mehr Zeit für politische Persönlichkeits- bildung

Von Fabio Witzeling und Franz Witzeling

Gastkommentare

Gastkommentar: Es braucht mehr als halbherzige Reformversprechen.


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In Zeiten einer wirtschaftlich, aber weniger sozial vernetzten Gesellschaft nehmen die Sozialen Medien eine besondere Stellung in der politischen Kommunikation ein. Es kommt dabei zu immer schwieriger deutbaren Wechselwirkungen, die für die Bürger die politischen Prozesse immer undurchsichtiger machen. Die Halbwertszeit der politischen Strukturbildung wird immer kürzer. Die Bündestrukturen der konservativen Volkspartei und die klassenkämpferische Ausrichtung der Sozialdemokratie sehen heute alt aus. Da helfen keine halbherzigen Bekenntnisse zu Reformen. Der Versuch, mit Agenturen und Beratern den klassischen Parteien ein attraktives Image zu verpassen, ist nicht der Stein der Weisen. Leider wird die paradigmatische Frage zu wenig gestellt: Inwiefern bestimmt die Persönlichkeit des Politikers die Rahmenbedingungen und den politischen Aktionsradius?

Wie wir aus der gesellschaftspolitischen Praxis wissen, ist der Weg in eine politische Spitzenposition eine die Persönlichkeit prägende Ochsentour. Viele der oft aus dem Nichts auftauchenden Karrierekandidaten bekommen in kürzester Zeit den Systemschliff, wobei wenig vom anfänglichen Idealismus übrig bleibt. Anpassung und nicht Zivilcourage oder kreatives, eigenständiges Denken sind gefragt. Aalglatte, stromlinienförmige Konturen der politischen Persönlichkeiten werden gefördert und nicht die oft zitierten "Ecken und Kanten". Diese passen nicht in das hinterhältige Ränkespiel der Funktionärsstrukturen. Die Erfahrung mit Quereinsteigern, die von Anfang ihrer Laufbahn an unter enormem Erfolgsdruck stehen, ist - was den Wahlerfolg betrifft - unbefriedigend, wie die Zeitgeschichte zeigt.

Gründe für die grassierende Politikverdrossenheit

Worum geht es den meisten Politikerkandidaten? Eine gezielte Motivuntersuchung mit tiefenpsychologischem Ansatz würde wohl zeigen, dass sich die Motivlage bei einem Großteil folgendermaßen darstellt: Es geht schlicht und einfach um Macht, Einfluss und persönlichen Vorteil und nur am Rande um wirklich nachhaltige Problemlösung. Überzeugender Humanismus, soziale Verträglichkeit im politischen Handeln und vor allem das Achten auf die Ausstattung der Politiker mit Soft-Skills ist leider bis heute kein Thema. Für politische Glücksritter dominiert der Zug in Richtung raschen Erfolg, der dann, wenn es um die Verteilung von Posten geht, das Fell des Bären sehr zerfleddert erscheinen lässt, weil man dieses noch vor der politischen Arbeit verteilen will.

Die Wähler haben nach der Wahl den Eindruck, dass der Bürger seine Schuldigkeit getan hat. Das Resultat ist eine grassierende Politikverdrossenheit, die auch durch das höfische Gehabe mancher Politiker verstärkt wird. Wenn es in der Politik nur noch um einen Jahrmarkt der Eitelkeiten geht, dann ist das ein eindeutiges Indiz für eine Entwicklung in Richtung Demokratiegefährdung. Die aktuelle Polarisierung zwischen extrem links und extrem rechts ist zu einem großen Teil durch das Fehlen einer zeitgemäßen politischen Kultur erklärbar. Denn, wie Paul Watzlawick bereits zugespitzt hat: "Das Symptom ist nicht die Krankheit."