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Mehr Zeit, weniger Pillen

Von Brigitte Pechar und Petra Tempfer

Politik

Der Hausarzt wird zum GPS, Spitäler übernehmen Spitzenmedizin.


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Wien. Gesünder, im Alter fitter und seltener im Krankenhaus: So sieht die Bevölkerung im Jahr 2018 aus. Der Knopf ist aufgegangen, die Gesundheitskosten wurden durch intensive Kampagnen für Vorsorgemedizin und Krebs-Prävention sowie eine Umschichtung der Ärzte aus den Spitälern in die Praxen massiv herabgesetzt. Basis all dessen: die Gesundheitsreform, die im April 2013 im Nationalrat beschlossen und nach und nach mit Leben erfüllt worden ist.

Mein Freund, der Hausarzt

Bis 2016 wurden die fortschreitenden Ausgaben für das Gesundheitssystem um fast vier Milliarden Euro gedämpft. Dennoch ist nicht weniger, sondern mehr Geld ins System geflossen - der Kostenanstieg ist seitdem an das Wirtschaftswachstum geknüpft.

Die wohl wesentlichste Neuerung ist, dass der Hausarzt im Jahr 2018 eine zentrale Rolle spielt und Gruppenpraxen sowie Tageskliniken auf dem Land Usus sind. Die Allgemeinmediziner fertigen ihre Patienten nicht mehr im Minutentakt ab, sondern nehmen sich Zeit für ein Gespräch und führen auch selbst wieder kleine medizinische Eingriffe durch. Sie betreuen sterbende Menschen, anstatt diese für ihre letzten Tage in ein Krankenhaus zu verfrachten; sie schicken die Patienten nicht zu unnötigen Röntgenterminen und Computertomographien, wenn auf der Hand liegt, dass der Bewegungsapparat nur mehr Bewegung braucht.

Das alles können Hausärzte, weil ihre Honorare der Zeit angepasst werden und sie durch Jungärzte, die eine Lehrpraxis bei den Ärzten absolvieren müssen, unterstützt werden. Und weil die Wege für Hausbesuche der Hausärzte am Land entsprechend honoriert werden, müssen diese ihr Einkommen nicht mehr über Hausapotheken aufbessern. Das wiederum könnte sogar die oft überbordenden Medikamentenverschreibungen abstellen.

Der Hausarzt, der den Menschen ein Leben lang begleitet: Er ist der Schlüssel zu dessen Gesundheit, indem er darauf achtet, dass dieser gar nicht erst krank wird. Etwa, indem er individuelle Vorsorgeuntersuchungen empfiehlt. Die Werte und Daten diverser Screenings wie Blutuntersuchungen und Mammographien bringt er in Beziehung zum Menschen, damit keine Gesellschaft von Hypochondern heranwächst (es gibt keine Vorsorgeuntersuchung, bei der nicht irgendetwas gefunden wird). Der Großteil der Bevölkerung geht 2018 zur jährlichen Vorsorgeuntersuchung, 2013 waren es nur 14 Prozent.

Screenings in der Vorsorgemedizin haben einen hohen Stellenwert erlangt. Brustkrebs-Screening etwa, das es in Deutschland seit 2005 gibt, ist in Österreich seit 2013 Bestandteil des Gesundheitssystems - und 2018 eine Selbstverständlichkeit. Alle Frauen von 45 bis 69 Jahren bekommen alle zwei Jahre eine Einladung für eine Mammographie zugeschickt und gehen hin. Früher erkrankten pro Jahr rund 4600 Frauen an Brustkrebs, 1500 starben. Systematische Früherkennungsprogramme können laut Studien die Sterblichkeit um 30 Prozent reduzieren.

Kein Burn-out-Doc

Auch die Elektronische Gesundheitsakte Elga leistet ihren Beitrag. In einem Menschenleben häufen sich unzählige Krankendaten. Kein Arzt kann alle diese jedes Mal durchforsten. Beste Suchfunktionen und Gespräche mit den Patienten können aber zu sehr guten Ergebnissen führen, unnötige Medikationen und Doppeluntersuchungen vermeiden helfen und so wieder zur Kostendämpfung beitragen.

Möglich wurde auch die Entlastung der Spitäler, deren Ärzte in der Vergangenheit mit 49 Stunden Arbeit am Stück bereits am Limit waren, durch eine Änderung der Zuständigkeiten. Waren vorher die Sozialversicherungen für die niedergelassenen Ärzte und die Länder für die Spitäler zuständig, so regelt 2018 ein "Zielsteuerungsvertrag" zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherungen, welche Schritte zur Qualitätsverbesserung und Kostendämpfung zu setzen sind. Wie diese umzusetzen sind, bestimmen Länder und Sozialversicherungen gemeinsam.

Kern der Reform ist, dass die Angebote von Spitälern und Ärzten besser aufeinander abgestimmt sind. Im Mittelpunkt steht die Gesundheit der Bevölkerung durch eine bessere medizinische Versorgung. 2018 ist für diese eine telefonische Erstberatung eingerichtet, über die sie abfragen können, ob sie sich mit ihrem gesundheitlichen Problem an ein Spital, einen Facharzt oder den Hausarzt wenden sollen.

Die Spitalsreform hat bis zum Jahr 2018 dazu geführt, dass in den Krankenhäusern Kapazitäten frei werden, um Hospizarbeit zu leisten und Pflegefälle zumindest kurzfristig zu übernehmen - bis ein Platz in einem Pflegeheim frei wird oder die Hauspflege organisiert ist. Damit sollten sich auch Entlastungen der Gemeinden bei den Pflegeheimen ergeben. Die Pflege, die derzeit noch im Sozialministerium (Pflegegeld) angesiedelt ist, ist dann an das Gesundheitssystem angegliedert. Damit werden die Übergänge von der Krankenversicherung in die Pflege erleichtert.

Es gab immer wieder Debatten darüber, ob eine Pflegeversicherung (wie in Deutschland) sinnvoll wäre oder ob die Pflege weiterhin über das Budget zu finanzieren ist. Tatsächlich kann der Pflegefall nicht versichert werden - am Ende muss dafür so oder so Geld von der Allgemeinheit kommen. Durch eine bessere Organisation des Spitalwesens konnten aber Mittel in den immer größer werdenden Pflegebereich fließen, sodass alte Menschen in Würde altern können.