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Mehr Zweite Republik geht nicht

Von Walter Hämmerle

Analysen
Quadratmeter OEG, Hollenstein Dietmar

Heinz Fischer zum Abschied: eine kritische Würdigung.


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Es gelingt nicht vielen Menschen, und den wenigsten Politikern, sich im fortgeschrittenen Alter neu zu erfinden. Heinz Fischer ist einer davon. Überhaupt: Wie vielen Spitzenpolitikern war es in den letzten Jahrzehnten vergönnt, unter Applaus, ohne Groll, ohne Niederlage, ohne Demütigung in den Ruhestand zu wechseln? Nach einigem Grübeln fallen einem Rudolf Kirchschläger und Franz Vranitzky ein. Der große Rest leckte im Anschluss seine Wunden, zu denen sich nicht selten auch noch Häme gesellte.

Man muss sich das so deutlich vor Augen führen, um die Sonderstellung Fischers am Ende seiner Karriere erfassen zu können. Die Pointe, dass er 2004 ohne Vorgänger ins Amt kam und nun ohne Nachfolger ausscheidet, unterstreicht sie nur noch in dieser erneut umkämpften Republik. Thomas Klestil verstarb zwei Tage vor der Angelobung Fischers, und wer diesem nachfolgt - Alexander Van der Bellen oder Norbert Hofer -, entscheidet sich nach der Aufhebung der Stichwahl nun erst am 2. Oktober. Bis dahin muss das Land mit einem Provisorium aus den Nationalratspräsidenten vorliebnehmen.

Ein Prinzling der Republik

Dass sich nun fast alle vor der politischen Lebensleistung Fischers verneigen, war nicht unbedingt zu erwarten. Die längste Zeit seiner Karriere verdingte er sich als Systemerhalter. Im modernen China nennt man einen wie ihn "Prinzling". Geboren 1938 in Graz, entstammt Fischer höherem SPÖ-Adel: Der Vater war Sektionschef und in den 1950ern Staatssekretär in der großen Koalition unter Julius Raab, der Onkel Ende der 1940er Jahre Minister im Kabinett Figl und später für Jahrzehnte Generaldirektor des roten Konsums, und Schwiegervater Otto Binder - Fischers Hochzeit mit seiner Frau Margit erfolgte 1968 - lenkte mit der Wiener Städtischen einen weiteren Konzern der einstigen roten Reichshälfte.

Fischer selbst promovierte 1961 an der Universität zum Doktor der Rechte und heuerte im Jahr darauf als Sekretär im Parlamentsklub der SPÖ an, 1971 zog er erstmals als Abgeordneter in den Nationalrat ein. Sieht man von der kurzen Episode als Wissenschaftsminister (1983 bis 1987) im rot-blauen Kabinett von Fred Sinowatz ab, gehörte Fischer dem Hohen Haus ununterbrochen bis zum Jahr 2004 an, unter anderem als Klubobmann, ab 1990 als Erster und nach 2002 schließlich als Zweiter Nationalratspräsident.

In all diesen Stationen deutete wenig an, was einmal aus Fischer werden würde: ein Bundespräsident, den wahrscheinlich eine Mehrheit jenseits der 70 Prozent locker in eine dritte Amtszeit schicken würde, wenn das nur die Verfassung hergeben würde. Als trocken und vorsichtig bezeichneten ihn sogar die eigenen Leute, und manchmal schwang dabei auch leiser Spott mit. In den Augen politische Gegner stieg er mitunter zum roten Lordsiegelbewahrer von Bruno Kreiskys Erbe auf. Die Loyalität zum Sonnenkönig ließ ihn auch einen seiner wenigen wirklichen Fehltritte machen: seine Forderung nach einem Untersuchungsausschuss gegen Simon Wiesenthal, der Kreisky wegen der NS-Vergangenheit etlicher SPÖ-Minister und des damaligen FPÖ-Obmanns Friedrich Peter heftig kritisierte.

Später bedauerte Fischer sein damaliges Verhalten und zeichnete als Bundespräsident Wiesenthal mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik aus.

Mit seiner Wahl zum Bundespräsidenten - gegen die damalige ÖVP-Kandidatin und Außenministerin Benita Ferrero-Waldner - erfand sich Fischer als Politiker neu. Gelegenheit, sich in Überparteilichkeit zu üben, hatte er schon als Nationalratspräsident, doch mit dem Einzug in die Hofburg setzte er an, eine neue Interpretation des höchsten Amtes der Republik zu erfinden, ohne dabei jedoch - und das ist das Bemerkenswerte - die von der Realverfassung der vergangenen Jahrzehnte eng gezogenen politischen Grenzen des Bundespräsidenten zu verlassen.

Moderator und Dienstleister

In markanter Differenz zum unpolitischen Diplomaten Thomas Klestil, der die Machtprobe mit der Regierung zweimal suchte und beide Male den Kürzeren zog, hatte der Homo politicus Fischer die formellen wie informellen Mechanismen der Zweiten Republik internalisiert, die für den Bundespräsidenten trotz Volkswahl keine explizite Machtrolle vor dem Vorhang vorsieht. Umso intensiver nutzte der Politprofi seine Möglichkeiten hinter den Kulissen, um zu vermitteln oder Blockaden aufzulösen. Über die entscheidende Voraussetzung, nämlich gut geölte Kontakte in alle Richtungen und Ebenen, verfügte er dank jahrzehntelanger Erfahrung in Überfülle. Dieses Amtsverständnis als Dienstleister der Republik zeigte sich auch bei den zahllosen Auslandsreisen des Bundespräsidenten, die Fischer nicht zuletzt als Türöffner für die heimische Wirtschaft verstand. Entsprechend groß der Tross an Unternehmern und Wirtschaftsfunktionären, die regelmäßig mit auf Reisen gingen.

Den Weg, das Amt näher an die Bürger heranzuführen, beschritt schon Klestil. Doch während sich sein Vorgänger zunehmend verbittert aufgrund seines mangelnden realpolitischen Einflusses in ausgewählte (Medien-)Zirkel zurückzog, blühte Fischer in seiner neuen Rolle völlig unvermutet auf. Kirtage, Eröffnungen, Patenschaften und Ehrungen: Wer ihn beobachtete, spürte, dass es ihm Spaß machte. Nicht einmal vor Selbstironie schreckte der habilitierte Verfassungsjurist und Professor für Politikwissenschaft zurück. Da war Fischer, meist im Doppelpack mit Ehefrau Margit, längst lieb gewonnenes Objekt milden Spotts der Kabarettisten.

Hätte Fischer etwas besser, anders machen können, sollen, müssen? Wenig, obwohl man immer etwas findet, wenn man nur sucht. Den Sozialdemokraten in sich hat er nie verleugnet - und ist dennoch in Gegensatz zu seiner Partei geraten. Zunächst 2006, als Alfred Gusenbauer die Möglichkeiten einer Minderheitsregierung sondierte und sich Fischer entgegenstellte, sodann 2008, als Werner Faymann Partei und Kanzleramt mit einem Kniefall vor dem Wiener Boulevard übernahm, indem er diesem eine Volksabstimmung im Falle neuer EU-Verträge versprach. Und dann 2013, als die SPÖ - wiederum unter dem Einfluss der Kleinformate - ihre Linie in der Wehrpflicht über Nacht über den Haufen warf. Als Oberbefehlshaber konnte und wollte Fischer da nicht mit, also warb er - Seite an Seite mit der ÖVP - für die Wehrpflicht. Da hatte sich Fischer längst den Ruf eines über den Parteien stehenden Staatsoberhaupts erworben. Die Wiederwahl ohne ernsthaften Gegenkandidaten mit fast 80 Prozent war der offensichtlichste Beweis dafür, seine Festrede zum 60er von ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner im Dezember 2015 ein weiterer Beleg. So wenig er den Sozialdemokraten leugnete, so wenig Zweifel ließ der Bundespräsident, dass er große Koalition und Sozialpartnerschaft für nicht perfekt, allen Alternativen aber für überlegen hielt.

Während die Grünen zu regelrechten Fans Fischers gerieten, blieb das Verhältnis zur FPÖ ungebrochen angespannt. Deutlichstes Zeichen der Distanz: Fischer verweigerte Heinz-Christian Strache Anfang 2012 einen Orden, den Politiker quasi routinemäßig verliehen bekommen. (Kurz zuvor hatte der FPÖ-Obmann seine Parteimitglieder aufgrund der Proteste gegen den rechtslastigen "Akademikerball" als "die neuen Juden" bezeichnet.) Die FPÖ revanchierte sich davor und danach mit Kritik und Untergriffen.

Heinz Fischer zeigte auf, was sich für einen Politiker mit Umsicht, Verstand und Talent aus diesem Amt herausholen lässt. Mehr Zweite Republik geht eigentlich nicht. Auf den Nachfolger, wie immer er am 3. Oktober auch heißen wird, warten ziemlich große Schuhe.