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Mehrsprachigkeit erwünscht

Von Vom Richard Solder

Politik
Je früher die Mehrsprachigkeit trainiert wird, desto besser sind die Resultate. Foto: bilderbox

Warum gerade Englisch "cool" ist. | Andere Sprachen werden vernachlässigt. | Wien. "Komm’, gemma kicken, Lan!" Die zwei Jugendlichen in der Wiener U-Bahn switchen in ihren Dialogen zwischen Türkisch und Deutsch: "Lan" (eigentlich "Ulan") heißt soviel wie "Mann" oder "Mensch". Die beiden sind, wie viele Österreicher mit Migrationshintergrund, in zwei Sprachen zu Hause.


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Um bilinguales Potenzial geht es bei "Sag’s Multi!": Im Rahmen dieses Redewettbewerbs treten Wiener Schüler mit einer anderen Muttersprache als Deutsch an und wechseln während ihrer Vorträge zwischen dieser und Deutsch. Letztes Jahr, beim ersten Turnier dieser Art, kämpften 114 Schüler in 35 verschiedenen Sprachen. Im Zentrum der Botschaft des Vereines "Wirtschaft für Integration", der den Wettbewerb initiiert hat, steht Bilingualität als Chance für jeden Einzelnen.

"Reden wir über Bildung - am besten auf Deutsch" hieß ein ÖVP-Slogan im Wiener Wahlkampf. Wie groß ist die Gefahr, dass sich Migranten durch einen Fokus auf Bilingualität keine ausreichende deutschsprachige Basis erarbeiten? "Die ist überhaupt nicht gegeben", sagt die Sprachwissenschafterin Barbara Seidlhofer.

Spanisch hui und Türkisch pfui?

Elisabeth Furch, die an der Pädagogischen Hochschule Wien "Interkulturelle Pädagogik" lehrt, schlägt in die gleiche Kerbe: "Wenn ein Mensch keine Sprache hat, kann er keine lernen - man muss die Muttersprache unterstützen." Schulen wie das Lycée Français würden es vormachen. Furch kritisiert, dass die Politik zu wenige Ressourcen zur Verfügung stelle und es erst dadurch zu einer "Ghettoisierung" von Schulen mit mehrheitlich sozial schwächeren Schülern komme.

Die Mehrsprachigkeitsforscherin Angelika Parfuss von der Uni Wien sieht manche ethnischen Minderheiten aus anderen Gründen im Nachteil: "Internationale Mobilität und das Erlernen von Fremdsprachen werden heute sehr positiv gesehen. Gleichzeitig gelten andere Formen der Mehrsprachigkeit als problematisch. Bei Migranten werden sie mit Anderssein assoziiert." Parfuss bezweifelt, dass das mit Vorurteilen oder gar Rassismus zu tun hat: "Es geht vielmehr um die Funktionalität, wie die von Deutsch und Englisch als Verkehrssprachen. Mit Ungarisch zum Beispiel können viele einfach nichts anfangen."

Barbara Seidlhofer, die als Anglistin zu interkultureller Kommunikation und Englisch als Lingua Franca forscht, ergänzt: "In der Gesellschaft gibt es natürlich eine Rangordnung der Sprachen - allerdings sind es nicht die Sprachen selbst, die eingeteilt werden, sondern die Verhältnisse, die damit verbunden werden."

Englisch etwa sei nicht von Natur aus "cool", sondern werde so gesehen, "weil es seinen Sprechern das Gefühl gibt, näher am Reichtum und der politischen und wirtschaftlichen Macht der USA zu sein", erläutert Seidlhofer, die aktuell im Rahmen des internationalen Projektes Dylan zu "Dynamik und Handhabung der Sprachenvielfalt" arbeitet.

Früh ansetzen beimErlernen von Sprachen

Muhamed Mesic kommuniziert in 56 Sprachen, von Kinyarwanda bis Quechua. Auch das Ausnahmetalent sieht praktische Gründe für das Image einer Sprache. Über die man sich bewusst sein sollte: "Oft brauchst du im beruflichen oder akademischen Leben eine Erklärung dafür, warum du gerade eine Sprache erlernt hast. Aramäisch nur deswegen gelernt zu haben, weil man es toll findet, ist oft nicht genug", so der in Wien ansässige bosnische Jurist und Senior Consultant.

Für Elisabeth Furch wurden hierzulande bereits Chancen vertan: "Alle schreien immer Mehr Sprachen, egal welche!, und dann scheitert es bereits am Unterrichtsmaterial. Viele Migranten haben ihre Herkunftssprache verloren, weil sie in den letzten Jahrzehnten nicht gefördert wurden." Genau solche Leute würde die Wirtschaft am Markt vermissen. "Die Bilingualität muss schon im Kindergarten gestärkt werden, dann können junge Menschen drei bis vier Sprachen erlernen", sagt Furch. Muhamed Mesic wünscht sich vor allem eines: "Mehr Bewusstsein darüber, welchen Reichtum Mehrsprachigkeit darstellen kann." Ein "mehrsprachiges Österreich" dürfe nicht als Konkurrenz zu einem "Deutsch sprechenden Österreich" gesehen werden.

Bis 15. November 2010 können Wiener Schulen ihre Teilnehmer für den Redewettbewerb "Sag's Multi!" nominieren. Infos: www.sagsmulti.at