Heute ist Tagungsende des Nationalrates. Bis 16. September 2002 gehen die 183 Nationalratsabgeordneten in ihre wohlverdiente Sommerpause. Denn rund 145 Gesetze wurden in der Tagung von 26. September 2001 bis 12. Juli 2002 beschlossen. Dauerbrenner dieser Tagung waren Temelín, die flaue Konjunktur und das Nulldefizit. Die gesamte Regierung und die Minister Haupt und Strasser sahen sich Misstrauensanträgen gegenüber. Hatte die Tagung unter dem Eindruck der Ereignisse des 11. September noch sehr konsensual begonnen, wurde diese Harmonie schon am nächsten Tag gestört.
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Zwar einigten sich alle vier Parteien in der ersten Sitzung des Nationalrates über den Nationalen Sicherheitsrat, die tags darauf folgende Debatte aber, wie man die Terrorbekämpfung am sinnvollsten bewerkstelligen könne, brachte bereits ein Abbröckeln von der konsensualen Haltung. FPÖ-Klubobmann Peter Westenthaler hatte eine Verschärfung der Zuwanderungsregelungen und generelle Fingerprints gefordert. Damit stieß er damals bei Innenminister Ernst Strasser auf Widerstand. Das Fremdenpaket mit dem Integrationsvertrag, das diese Woche beschlossen wurde, blieb bis zuletzt umstritten.
Überhaupt gab es in wesentlichen Sicherheitsfragen keinen Vier-Parteien-Konsens. Dabei streckt sich der Bogen über die Sicherheitsdoktrin bis hin zum nunmehrigen Beschluss der Regierung zum Ankauf der Eurofighter, der von SPÖ und Grünen abgelehnt wird.
Zweites Hauptthema der Tagung war das von der Regierung schon 2001 vorzeitig erreichte Nulldefizit im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung und der Lage am Arbeitsmarkt. Während die SPÖ schon ab Mai 2001 vor einer drohenden Rezession warnte und die Regierung mit mehreren Dringlichen Anfragen dazu und zur Lage am Arbeitsmarkt konfrontierte, sprachen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer von einer "schwierigen Situation". Die Regierung reagierte schließlich mit einem Konjunkturgipfel und dem Konjunkturpaket, das Schüssel mit den Worten "Das Rezept ist sehr einfach: Stärken stärken und Schwächen beseitigen" zusammenfasste.
Dn dritten Streitpunkt zwischen Regierung und Opposition, aber auch innerhalb der Regierung brachte der Dauerbrenner Temelín, wo erst diese Woche wieder kein Vier-Parteien-Antrag gelungen ist, da die SPÖ einen klaren Verhandlungsplan der Regierung mit ihrem tschechischen Vis-a-vis vermisst. Ein erster Versuch zu einer Vier-Parteien-Einigung war schon im Dezember 2001 gestartet worden. Besonders hoch gingen die Wogen zur Zeit der Eintragungsfrist für das FPÖ-Temelín-Volksbegehren im Jänner 2002, das eine Veto-Drohung zum EU-Beitritt Tschechiens beinhaltete. "Wir werden kein Veto gegen den EU-Beitritt Tschechiens einlegen. Punkt. Das ist nicht die unterschriebene Regierungspolitik", betonte etwa Umweltminister Wilhelm Molterer damals.
Weichenstellungen setzte die Regierung im Sozialbereich. Die lange diskutierte und von den Sozialpartnern ausgearbeitete Abfertigung neu wurde von allen vier Parteien unterstützt und führt dazu, dass die Abfertigungen künftig zwar niedriger ausfallen werden, dafür aber kommt jeder Arbeitnehmer in den Genuss. Eine weitere unumstrittene Regelung setzte der Nationalrat mit der Einführung der Familienhospiz-Karenz zur Pflege schwerkranker und sterbender Angehöriger.
Einigkeit also in einigen Teilbereichen hinderte die Opposition nicht daran, die Serie von Misstrauensanträgen gegen einzelne Regierungsmitglieder beziehungsweise die gesamte Bundesregierung einzubringen. Den Beginn machte am 23. Oktober 2001 ein Misstrauensantrag der SPÖ gegen Sozialminister Herbert Haupt wegen der "extrem hohen Gehälter" der Kabinettsmitarbeiter. Als nächster geriet Innenminister Ernst Strasser am 12. Juni 2002 ins Visier der Grünen wegen der umstrittenen Postenbesetzungen in seinem Haus. Gleichzeitig wurde Haupt wegen der Causa Gaugg neuerlich mit einem Misstrauensantrag konfrontiert. Es handelte sich dabei um die Misstrauensanträge elf und zwölf gegen das schwarz-blaue Kabinett oder einzelne seiner Mitglieder.
Obwohl der Ton doch sehr rau zu sein scheint, ist die Zahl der Ordnungsrufe gegenüber dem Beginn der ÖVP-FPÖ-Koalition zurückgegangen: In der abgelaufenen Tagung 2001/2002 gab es 14 Ordnungsrufe, in der Tagung 2000/2001 und 1999/2000 je 34.