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Mein Freund, der Roboter

Von Andreas Walker

Reflexionen
In der TV-Serie "Real Humans" übernehmen "Hubots" (Human + Roboter) vielerlei Tätigkeiten.
© Foto: SVT

Wir und unsere technischen Begleiter: TV-Serien wie "Real Humans" und "Almost Human" erfinden das Wechselspiel zwischen Mensch und Maschine nicht neu, verorten es aber im alltäglichen sozialen Raum.


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Wer von uns hat nicht ein technisches Gerät, mit dem er mehr Zeit verbringt als mit seinen Liebsten und/oder Freunden? Und wer von uns kennt nicht jemanden, der symbiotisch mit seinem Gerät derart verschmolzen ist, dass es Teil seiner Identität geworden ist?

Die technischen Geräte sind mehr als emotionale Platzhalter. Sie trennen uns von unseren Mitmenschen, indem sie sich zwischen sie und uns schieben; gleichzeitig sorgen sie dafür, dass wir eine intensive Bindung zu ihnen und zu den Netzwerken, die über sie zugänglich sind, aufbauen. Sie sind aber nicht nur Vermittler von medialen Angeboten oder kommunikativen Kanälen; sie selbst können an die Stelle des Anderen treten und werden zu unseren ständigen Begleitern.

Bessere Begleiter

Der technische Begleiter - meist in Form eines tragbaren Telefons, aber auch in Form eines Spiels (etwa der Tamagotchi Digital Friend) - ist derjenige, der mir meine Einsamkeit erträglich macht, ohne dass ich dafür einen Menschen benötigte. Dieser Begleiter steht mir auch dann zur Seite, wenn ich - biologisch - sterben muss. Für den technischen Begleiter stelle ich keine Last dar, ich bürde ihm nichts auf, ich kann mich ganz auf seine Verlässlichkeit verlassen und insofern ist er besser als es jeder menschliche Begleiter sein könnte. Der bessere Begleiter verunmöglicht mein soziales Sterben: Er ist mein Interface zu den sozialen Netzwerken und bleibt auch dann bei mir, wenn meine Angehörigen und Freunde mich längst aufgegeben und verlassen haben.

In jüngster Zeit haben insbesondere Fernsehserien, die Einsamkeitskanäle der Gegenwart, auf das Motiv des besseren Begleiters aufmerksam gemacht. In der schwedischen Serie "Real Humans" ("Äkta människor") erleichtern Hubots (Human + Roboter) den Tagesablauf von Menschen, angefangen vom Kochen und Waschen bis hin zur Pflege. Andere Hubots dienen dem reinen Vergnügen, sind Spielgefährten oder erledigen die notwendigen Besorgungen und Einkäufe. Die Beziehungen zwischen Menschen und Hubots sind nicht immer spannungsfrei.

Zu Konflikten kommt es insbesondere, wenn die Grenzen zwischen den Arten nicht akzeptiert werden. So gibt es auf der einen Seite eine Gruppe von Hubots, die für ihre Freiheit kämpfen, da sie - durch technische Modifikation - in der Lage sind, eigenständige Entscheidungen zu fällen. Unkontrollierbares Handeln kann aber auch durch eine Dysfunktion, verursacht etwa durch Viren, ausgelöst werden. Durch gezielte Kontrollen versuchen die Behörden, einem Amoklauf der Hubots zuvorzukommen, während die Revolutionäre gnadenlos von der Polizei gejagt werden.

Aufgrund des Zweifels an einer vollständigen Kontrolle der Hubots und weil die Maschinen die Menschen vom Arbeitsmarkt verdrängen, bildet sich die politische Bewegung der Äkta människor, die für die Vernichtung aller Hubots eintritt. Auf der anderen Seite sind die Hubots, die dem sexuellen Vergnügen dienen, nicht nur im Rotlichtmilieu und bei Männern beliebt. Auch alleinstehende Frauen entdecken die physischen Vorzüge männlicher Hubots und gehen amouröse Beziehungen mit ihnen ein.

"Transhumansexuell"

Wer ein Begehren nach Hubots empfindet, gilt als THS: transhumansexuell. Diese Liebschaften haben manchmal negative Auswirkungen auf freundschaftliche Bande, da sie Befremden in der übrigen menschlich-sozialen Mitwelt auslösen. Die Grenzüberschreitung ist also eine doppelte, aber es geht dabei stets um Freiheit und Befreiung: Freiheit von kausaler Notwendigkeit einer programmierten Software auf der Seite der Hubots, Befreiung von der sozialen Norm auf der menschlichen Seite.

Der pflegebedürftige Rentner Lennart hat in der ersten Staffel der TV-Serie einen schon etwas in die Jahre gekommenen Hubot Odi als Gesellschafter im Hause. Als dieser Funktionsstörungen aufweist, wird er durch den Altenpflege-Hubot Vera ersetzt. Vera kennt weder Nachsicht noch Toleranz mit ihrem Patienten, worunter Lennart sehr leidet. Als er Odi wieder findet, versteckt er ihn bei sich im Keller. Er blüht wieder auf, so wichtig ist ihm die freundschaftliche Beziehung zu seinem technischen Begleiter. Lennart wird an einem Herzinfarkt sterben und als geklonter Hubot in der zweiten Staffel wiedergeboren werden. "Wann starten wir Opa?", fragt seine Enkelin ihre Eltern, die damit zögern, da sie sich vor ihren Gefühlen für "Opa" fürchten. Als Hubot wird Lennart mit Odi noch einmal wiedervereint werden.

Nicht nur an dieser Stelle verkörpert sich in der Serie die Frage, wie viel Maschine im Menschen steckt - und wie viel Mensch in der Maschine. Gegen Ende der zweiten Staffel erhalten manche Hubots quasi-menschliche Rechte, da sie nicht länger als programmierbare Maschinen einzustufen sind. Wenn sie nach dem Vorbild eines Menschen hergestellt worden sind, verfügen sie über dessen Persönlichkeitsstruktur und können sich an Dinge erinnern, die ihnen nicht eingegeben worden sind.

"Real Humans" erfindet die Motive des Wechselspiels von Mensch und Maschine nicht neu, aber die Serie verdichtet die Thematiken im alltäglichen sozialen Raum. Das, was die menschlich-soziale Norm ist, wird von denjenigen Menschen, die den Hubots positiv gesinnt sind, als Zwang erlebt, der die Freiheit einschränkt.

Gerade die Maschinen weisen aus diesem Zwang einen Ausweg durch sexuelle oder gesellschaftliche Freiheiten, die auch von den zwischenmenschlichen Beziehungen entlasten. Es besteht nicht länger die Notwendigkeit, mit anderen Menschen auskommen zu müssen, wenn das technische Gerät, das über eine Art von Selbstbewusstsein verfügt, zu meinem Freund werden kann.

Androide Polizisten

Ein Ding aber, das über Selbstbewusstsein verfügt, ist nicht länger als bloßes Ding zu betrachten. Es stört nicht nur die etablierte menschlich-soziale Ordnung, in seiner Selbstständigkeit sprengt es auch die Dichotomien rational/irrational, technisch/menschlich, künstlich/natürlich. Die Maschine ist nun auch in psychischen Kategorien beschreibbar. Wer hat nicht schon einmal sein Gerät angesprochen, ermuntert oder beschimpft?

In der US-amerikanischen Serie "Almost Human" muss der von einem Einsatz traumatisierte Polizist John Kennex im Jahr 2048 mit androiden Kollegen klarkommen. Jedem menschlichen Polizisten wird in der Zukunft ein androider Polizist als Partner beigesellt. Dies missfällt Kennex zutiefst, da einer dieser Androiden bei besagtem Einsatz seinen ehemaligen - menschlichen - Partner sterben ließ, da andere Opfer eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit hatten.

Kennex lehnt es deshalb ab, mit den neuen effizienten Androiden zusammenzuarbeiten. Stattdessen wird ihm ein veraltetes Androidenmodell zur Seite gestellt, das mit einer "synthetischen Seele" ausgerüstet ist. Sein neuer Partner Dorian neigt jedoch zu Verhaltensauffälligkeiten und mentalen Ausfällen: Er benimmt sich allzu-menschlich, womit Kennex, der seinen Hass auf künstliche Wesen kaum verhehlen kann, erhebliche Schwierigkeiten hat. Nach und nach jedoch - und das ist bei einer derartigen Buddy-Serie nicht anders zu erwarten - lernt Kennex seinen Kollegen immer mehr schätzen.

"Almost Human" ist bewusst naiv angelegt. Dass Mensch und Maschine emotional die Plätze tauschen und der Mensch eher maschinenhaft handelt, während die Maschine menschlich zweifelt, ist vielleicht nicht originell, zeigt jedoch, dass das Menschliche und die Maschine aktuell nicht eindeutig bestimmbar sind.

Die Serie weist auch darauf hin, dass eine Maschine die sozial bedeutsamere Komponente für den Menschen werden kann, als es je ein menschlicher Freund, Bekannter, Angehöriger sein könnte. Der Philosoph Emmanuel Levinas hat Ethik an das Antlitz des Anderen gekoppelt. Im Zeitalter von iBot und des iMan darf man aber fragen, wer zukünftig der Andere sein wird. Ein Mensch oder eine Maschine? Wird dieser Andere überhaupt noch ein Antlitz haben?

Nicht nur als Surrogat des menschlichen Anderen fungiert der technische Begleiter. Er entlastet uns auch ein Stück weit von uns selbst. Die Frage ist daher nicht, ob wir die technischen Errungenschaften benutzen, sondern inwiefern wir uns, indem wir sie benutzen und mit ihnen Lebensräume teilen, mit unseren Handlungen ihnen anpassen und ihre Kommunikationsformen adaptieren. Wer sich beständig mit den technischen Begleitern auseinandersetzt, wird sich in ihnen spiegeln und von ihnen gespiegelt werden. Die eigene Identität wird mit der virtuellen Identität konvergieren, die mir mein technischer Begleiter zugänglich macht. Freilich kann diese Identität den biologischen Tod überleben. Wir verschwinden unmerklich in der realen Welt, indem Doppelexistenzen von uns an unsere Stelle treten. In "Real Humans" wird das Bewusstsein eines sterbenden Menschen auf einen Hubot übertragen. Das ist nur konsequent.

Das Radio, der Walkman oder der iPod ermöglichen je auf ihre Weise individuelles Musikhören und Sphären individuellen Geschmacks - unabhängig davon, ob andere sie teilen. Der akustische Raum ist in jüngster Zeit erneut implodiert. In Mode sind derzeit Silent- oder Kopfhörerparties, bei denen die Teilnehmer mit Kopfhörern zur ihrer oder zur Musik eines/mehrerer DJs tanzen. Man weiß also nicht genau, welche Musik die anderen Teilnehmer der Party hören.

Hyperindividuell

Tragen wir damit nicht unsere Einsamkeit zu den anderen, nicht, um mit ihnen die Einsamkeit zu überwinden, sondern um uns in ihr gemeinsam zu bestärken und zu versichern? Freilich können derartige Events einen gewissen Reiz haben, da sie die Kommunikation zwischen mir und dem anderen erleichtern helfen, etwa mit der Frage: "Was hörst du denn?" Ein Vorzug ist auch, dass sich die Veranstalter nicht über Beschwerden der Anrainer wegen Lärmbelästigung sorgen müssen.

Doch täuschen die Vorzüge nicht darüber hinweg, dass ich mit dem anderen die Musik vielleicht gar nicht teilen kann, da wir so unterschiedlich, so hyperindividuell sind. Nur der technische Begleiter, von dem wir manchmal nur schwer zu unterscheiden sind, kann unser volles Vertrauen genießen. Er wird uns immer verstehen. Und er ist es, der uns die Musik schenkt, die wir lieben und zu der wir tanzen.

Andreas Walker, geb. 1971 in Hamburg, ist Philosoph, Autor und Sozialforscher. Zuletzt erschienen zahlreiche Arbeiten zum Hospizwesen. Er lebt und arbeitet in Bochum und München.