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"Mein Herz gehört den Schwachen"

Von Petra Medek und Stefan Melichar

Wirtschaft
Egon Blum spricht sich für einen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff aus. Foto: Strasser

Egon Blum warnt vor weiterem Imageverlust der Lehre. | Plädoyer gegen Aufweichung des Kündigungsschutzes. | "Wiener Zeitung":Sie sind als Regierungsbeauftragter für Jugendbeschäftigung und Lehrlingsausbildung nicht in die Diskussionen der Sozialpartner zu diesem Themenbereich eingebunden gewesen. Was halten Sie von den Forderungen, die diese am Dienstag präsentiert haben?


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Egon Blum: Hier sind sehr viele neue Punkte versprochen worden. Meiner Erfahrung nach macht allerdings die Idee 5 und die Umsetzung 95 Prozent eines gelungenen Projekts aus. Ich kann nur hoffen, dass das, was hier aufgezeigt wird, letztlich im Sinne der Jugend und der Wirtschaft umgesetzt wird.

Könnte die Forderung, Lehrlinge kündigen zu dürfen, ein Knackpunkt sein?

Damit werden Attraktivität und Image der dualen Ausbildung (Betriebspraxis plus Berufsschule, Anm.) weiter angekratzt. Lernleistungsstarke, die die Wahl zwischen einer berufsbildenden höheren Schule und einer Lehre haben, werden sich nun eher für ersteren Weg entscheiden. Und genau das wollte ich immer vermeiden. Ich wollte, dass die duale Ausbildung an Attraktivität, an Ansehen gewinnt. Will man deren Qualität sichern, braucht es keine Kündigung. Man könnte nach der ersten Hälfte der Ausbildung eine Art Zwischenprüfung einführen.

Was schlagen Sie vor, um das Image der Lehre zu verbessern?

Lehre und Matura. Viele Jugendliche machen aus gesellschaftlichen Gründen eine Schulausbildung, obwohl sie dort gar nicht reinpassen. Wenn diese die Chance haben, Lehre und Matura zu verbinden, würden sie eher den dualen Weg gehen. Wir versuchen jetzt das bestehende Modell zu verbessern. In Zukunft soll es möglich sein, schon während der Lehrzeit - aufgeteilt auf einzelne Ausbildungsjahre - alle drei Prüfungen in Mathematik, Deutsch und einer lebenden Fremdsprache zu machen.

Wie viele Jugendliche könnten sich für eine solche Ausbildung entscheiden?

Derzeit haben wir rund 2000 Absolventen pro Jahr. Mit dem neuen Modell möchte ich zehn Prozent der 15-Jährigen erreichen. Das wären etwa 10.000 Jugendliche.

Wird diese Ausbildungsform ausreichen, um mehr junge Menschen für eine Lehrausbildung zu begeistern?

Damit Unternehmen gute Lehranwärter bekommen, ist es wichtig, dass Lehrlinge, die dort bereits eine Ausbildung machen, positiv über ihre Erfahrungen berichten können. Es muss das Image da sein, dass dort auch wirklich etwas gelernt werden kann.

Krankt es nicht grundsätzlich an der gesellschaftlichen Akzeptanz?

Wir müssen eine Aufwertung der Facharbeit vornehmen. Solange der Facharbeiter kollektivvertraglich und in der gesellschaftlichen Wahrnehmung dem Hilfsarbeiter gleichgestellt ist, wird das Image der Lehre nicht profitieren. Ich habe das in meinem Unternehmen bereits 1973 geändert. Jeder Lehr-Absolvent mit einer hochqualifizierten Ausbildung war dort Angestellter. Was meinen Sie, was wir Anwärter gehabt haben! Andere Unternehmen in unserer Branche mussten nachziehen, und heute ist das in Vorarlberg überhaupt keine Diskussion.

Wirtschaftsvertreter klagen über lernschwache Lehranwärter. Was ist hier zu tun?

Vor dreißig Jahren hatten wird noch 18 Prozent, die nach der Pflichtschule keine weitere Ausbildung gemacht haben, heute sind das 5 oder 6 Prozent. Früher haben wir die rund 14 Prozent lernschwachen Jugendlichen nicht gespürt. Dabei sind viele dieser jungen Menschen durchaus ausbildungsfähig. Sie gehören aber nicht in eine Schule sondern in eine praktische Ausbildung.

Wie kann das funktionieren?

Mir geht es darum, möglichst viele Unternehmen zu motivieren, auch schwächere Jugendliche in die Lehre zu nehmen. Ich will aber nicht, dass sie, wenn es in der Lehre nicht funktioniert, aus dem System fallen. Die Betroffenen sollten nahtlos in eine überbetriebliche Ausbildung wechseln können.

Der von Ihnen entwickelte Blum-Bonus zur Förderung zusätzlicher Lehrstellen ist ja auch ein Instrument, das Unternehmen dazu bringen kann, leistungsschwächere Jugendliche aufzunehmen. Nun wollen die Sozialpartner dieses Fördersystem auslaufen lassen und - wie es in dem Papier heißt - weiterentwickeln. Was bedeutet das?

Mein Herz gehört den Schwachen. Um die Starken, die die Unternehmen ohnehin brauchen, können sich diese zu einem Gutteil selbst kümmern. Die müssen dafür sorgen, dass Image, Bezahlung und gesellschaftlicher Status stimmen. Der Blum-Bonus hat vor allem für Schwache viel gebracht. Eine Weiterentwicklung wäre, wenn man die soziale Philosophie, die dahinter steht, ausweiten würde. Ich möchte nicht haben, dass 15-Jährigen am Ende nichts bleibt und sie verwahrlosen. Vielen jungen Leuten, die Spätstarter sind, geht, wenn sie eine Chance in einem Betrieb erhalten, der Knopf auf.

Weinen Sie dem Blum-Bonus nach?

Es ist gelungen, viele Betriebe, die sonst überhaupt nicht ausbilden würden, ins Boot zu holen. Wir haben die Talfahrt bei den Lehrlingszahlen gestoppt. Wir sind momentan schon bei 128.500 Lehrlingen und steuern auf die Marke von 130.000 zu. Einen solchen Lehrlingsstand haben wir die letzten zehn Jahre nicht gehabt. Eine Antwort auf die Frage, wie man dieses Erfolgskonzept weiterführt, ist eigentlich in dem Sozialpartner-Papier nicht drinnen. Für die Schaffung zusätzlicher Lehrplätze sieht es ja wenig Anreize vor. Aus meiner Sicht ist da ein großes Potenzial an Unternehmen, die sich vielleicht in den letzten zwei Jahren noch nicht entschließen haben können, zusätzlich etwas zu tun, aber in diesem oder dem nächsten Jahr etwas getan hätten. Solange es solche Betriebe gibt, hätte ich den Blum-Bonus weitergeführt.

Zusätzliche Förderungen sollen in Zukunft anhand eines vielfältigen Kriterienkatalogs verteilt werden. Ist das administrierbar?

Das müssen jene beantworten, die das Programm erstellt haben. Ich gehe schon davon aus - das habe ich in meinem Projekt Blum-Bonus ja auch gemacht -, dass hier die Umsetzung mitangedacht ist. Das ist ja die Hauptarbeit. Wir müssen die Menschen überzeugen, dass eine Lehre gut ist. Darauf wird auch die Wirtschaft letztlich angewiesen sein.

Wird sich die Wirtschaft nicht bevorzugt fertig ausgebildeter Fachkräfte aus Osteuropa bedienen?

Viele Länder haben zu wenig Fachkräfte, nicht nur Österreich. Es glaubt niemand mehr, dass wir bei einer Öffnung des Arbeitsmarktes für die neuen EU-Mitgliedsländer von Facharbeitern überschwemmt würden. Die meisten sehen schon, dass es besser ist, wenn sie selbst ausbilden. Jetzt beginnt nämlich - auch von der demographischen Entwicklung her - der große Kampf um die 15-Jährigen. Sie müssen ja heute jene Lehrlinge einstellen, die sie in vier und in fünf Jahren brauchen. Und gerade bei Forschung und Entwicklung ist die Fachebene entscheidend für die Umsetzung. Nichts desto trotz hat man ungeheures Engagement in die Frage investiert, wie man als Unternehmer Jugendliche wieder loswerden kann.

Wird das neue Programm dem Anspruch gerecht, mehr Qualität in der Ausbildung zu gewährleisten?

Wenn wir eine Qualitätssicherung machen, dann muss die flächendeckend sein. Und wenn nur mehr jene Betriebe gefördert werden, die gut ausbilden, dann nimmt ja jeder nur mehr lernstarke Lehrlinge. Außerdem ist für mich noch nicht erkennbar, wie das gemessen werden soll. Was mir fehlt, ist ein echtes Lehrlings-Coaching - nicht die Mediation, die stattfinden soll, bevor ein Lehrling gekündigt wird. Das ist nicht geholfen, das ist geflickt. Sie müssen letztlich das tun, was Sie für Ihr eigenes Kind tun würden.

Was können denn Sie als Regierungsbeauftragter hier noch ausrichten?

Mich interessiert jetzt vor allem die Diskussion auf der politischen Ebene. Ich bin nicht beleidigt, dass man mich vorher nicht eingebunden hat. Alle haben meine Meinung gekannt. Was für die Jugend und für die Wirtschaft gut ist, passt mir. Wir müssen nur wissen, dass das, was angekündigt ist, noch bei weitem nicht umgesetzt ist.

Zur Person

Der Vorarlberger Manager Egon Blum gibt seit November 2003 die Richtung vor, in die sich die Lehrlingsausbildung in Österreich entwickeln soll. Der 1940 geborene Regierungsbeauftragte absolvierte selbst eine Maschinenbaulehre und legte 1964 in der Schweiz die Werkmeisterprüfung ab. 1970 wechselte er zum - nur zufällig gleichnamigen - Vorarlberger Möbelbeschläge-Hersteller Julius Blum, wo er bis zu seinem 65. Lebensjahr auf Geschäftsleitungsebene für die Bereiche Technik und Lehrlingsausbildung verantwortlich war.

Blum erzählt mit Stolz, dass er in 35 Jahren von rund 1000 Lehrlingen keinen einzigen "hinausgeschmissen" hat. Bei zahlreichen Vorträgen versucht er mit Hilfe zweier Laptops und etwa 1400 Präsentations-Folien, seine - wie er sagt - positive Lebenseinstellung gegenüber Jugendlichen zu vermitteln. Blum ist verheiratet und hat drei Töchter.