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George Orwell ist Kataloniens wohl international berühmtester Fan. "Wenn man aber gerade aus England kam, hatte der Anblick von Barcelona etwas Überraschendes und Überwältigendes. Zum ersten Mal war ich in einer Stadt, in der die arbeitende Klasse im Sattel saß", schrieb er in seinem Buch "Mein Katalonien". Angesteckt vom revolutionären Idealismus der linken Republikaner, die gegen das faschistische Regime von Francisco Franco kämpften, schloss Orwell sich den Guerillas an. Wie die Geschichte ausgeht, wissen wir: Franco siegt und Orwell flieht über Frankreich nach England. Das Buch erschien 1938, 79 Jahre danach umweht wieder ein revolutionärer Geist Kataloniens Hauptstadt Barcelona. So manche katalanische Separatisten beschwören die Zeit Orwells und deuten den derzeitigen Streit mit Madrid als Konflikt des kleinen Kataloniens mit dem spanischen Staat, der auf die Unabhängigkeitsbestrebungen der Provinz nur eine Antwort hat: Gewalt.
Doch dieser Vergleich ist völlig unsinnig. Allerdings: Der konservative Premier Spaniens Mariano Rajoy hat sich den Titel des wohl unfähigsten Premiers der Post-Franco-Ära in Spanien redlich verdient. Seine Regierung verweigert seit Jahren den Dialog mit den Katalanen in arroganter Weise. Andererseits muss sich auch der katalanische Regional-Premier Carles Puigdemont den Vorwurf der Hybris gefallen lassen. Geht es vielen katalanischen Nationalisten nicht schlicht um Posten, Macht und darum, kein Geld mehr nach Madrid überweisen zu müssen?
Und was ist mit der Frage der Legitimität des katalanischen Unabhängigkeitsreferendums? Rajoy kann darauf pochen, dass dieses als illegal zu werten ist. Wobei es in einer Demokratie nicht nur darauf ankommt, die rechtsstaatlichen Prinzipien zu achten, sondern eine Regierung braucht Legitimität und Loyalität der Bürgerinnen und Bürger. Spaniens Premier Rajoy hat in den vergangenen Tagen nichts unversucht lassen, um diese Legitimität in Katalonien zu verspielen. Denn selbstverständlich haben die Katalanen ein Recht auf Selbstbestimmung. Barcelona ist eine wunderbare, weltoffene Stadt, die Balearen stehen für Lebenslust, Freiheit und Toleranz. Das ist der wahre Schatz der ganzen Region. Nun besteht die Gefahr, dass in einem scheußlichen Rosenkrieg der nationalistische Furor weiter angefacht wird, der Provinzialismus Einzug hält und Scheuklappen angelegt werden.