So kräftig Farbtöne auch wirken mögen, so schwer sind sie dingfest zu machen, zeigt eine Ausstellung im Technischen Museum in Wien.
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Schöne rote Schuhe, tönt es aus dem Hinterhalt. Die Schuhträgerin zuckt zusammen. Sagte hier jemand rot? Die Stimme des Irrtums gehört einer Bekannten, die unvermutet im selben Geschäft steht, die Fußbekleidung aber ist orange. Zugegebenermaßen trifft dunkelorange den Ton am besten, doch selbst dieses ist mit Sicherheit ebenso wenig zinnoberrot wie Türkis grün. Weiß jedes Kind, das regelmäßig seine Buntstifte spitzt. Oder?
Nun, ganz so eindeutig ist die Sache mit den Farben dann doch wieder nicht. Natürlich kennen manche Kinder, speziell jene, die gerne malen, die Namen der Farben in ihrem Buntstiftkasten. Und natürlich können die meisten Menschen Farben unterscheiden. Doch mit der richtigen Benennung verhält es sich anders, schon allein, weil es mehr Farbtöne gibt als Namen. Und so wird Dottergelb mitunter Orange, Orange Hellrot, Türkis Pfefferminz, Lila Violett und Blau Schwarz genannt.
Dabei kann das Auge bis zu 2,3 Millionen Farbtöne unterscheiden. "Der Mensch besitzt zwei Typen von Sehzellen: Stäbchen, die wir in der Dämmerung nutzen und die auf bestimmte Wellenlängen nicht reagieren, und Zapfen, die bei Tageslicht für das Sehen verantwortlich sind", erläutert der Neurobiologe Jan Kremers vom Uniklinikum Erlangen in einem Fachartikel. Die drei Arten von Zapfen reagieren jeweils auf kurze (blaue), mittlere (grüne) und längere (rote) Wellenlängen. Werden jene Zapfen, die für kürzere Wellenlängen empfindlich sind, stärker erregt als die anderen, nehmen wir Blau wahr, und so weiter.
Fantasievolle Namen sollen dem Denken auf die Sprünge helfen
Die Wörter Rot, Blau und Grün stehen überall für die gleichen Farbkategorien, konnte das "World Colour Survey" anhand von 110 Sprachen nachweisen. Ob aber die Sprache die kategorische Farbwahrnehmung prägt oder umgekehrt, wollte in Team um Jiale Yang von der Chuo Universität in Tokio wissen. Die Forschenden zeigten fünf Monate alten Babys geometrische Figuren in Grün und Blau sowie in verschiedenen Grüntönen. Die Messungen der Gehirnaktivität zeigten, dass diese signifikant anstieg, wenn sich Blau und Grün abwechselten, jedoch der Wechsel verschiedener Grüntöne kaum Reaktionen auslöste. Das Gehirn erfasst farbliche Grundkategorien also schon vor dem Spracherwerb. Daraus schließen die Forscher, dass diese etwas Universelles sind.
Die meisten Menschen verfügen somit über eine stabile gemeinsame Basis, wenn sie sich über Farben austauschen. In der Evolution war das wichtig, um zu erkennen, ob Früchte reif sind oder Fleisch genießbar ist. Doch ist mein Rot auch Ihr Rot? "Ob unser subjektiver Bewusstseinseindruck einer Farbe identisch ist, lässt sich mit gängigen Mitteln der Naturwissenschaft nicht herausfinden. Was für mich rot ist, erscheint für Sie vielleicht wie mein Türkis. Wir könnten lediglich gelernt haben, diesen Eindruck gleich zu benennen", schreibt Kremers im "Spektrum der Wissenschaft".
Und damit sind wir schon mitten im Dilemma. Neben der Tatsache, dass die Farbwahrnehmung von der Sehkraft, den Lichtverhältnissen, dem Alter, der Stimmung und eingenommenen Medikamenten abhängt, können wir uns nicht präzise verständigen. Ein herbstlicher Blätterwald? Große Herausforderung, sich über das ganze Spektrum auszutauschen. Eine Frühlingswiese? Fast unmöglich, alle Grün-Töne zu beschreiben! Gemälde von Rembrandt, Constable, Richter oder Doig? Kaum jemand könnte jede Farbe nennen.
"Wir haben nicht für alle Farben Namen. Infolgedessen kann die Einordnung verschwimmen", erklärt Hubert Weitensfelder, Leiter des Sammlungsbereichs Produktionstechnik des Technischen Museums in Wien (TMW), zu dem eine der größten Naturfarben-Sammlungen im deutschsprachigen Raum gehört. Der Historiker öffnet die Laden seines Depots. Überwältigende Mengen von Stoffproben mit Mustern in Altrosa, Citron, Minze, leuchtendem Rot und Kobaltblau. Farbtafeln in Papier und Garn als Muster für die Industrie. In Glasbehältern Pigmente, deren Namen wie der Nachhall einstiger Pracht erklingen: Victoriablau. Bismarck Braun. Mikadogoldgelb. Sambesi-Rot. Rose Bengale. Weiters Kunsthorn auf Mustertafeln. Den frühen Kunststoff für Knöpfe gab es in bezaubernder Vielfalt: Dunkelrosa, Blasscoralle, Tango, Blond. Doch welche würden wir dem Orangen zuordnen, welche dem Roten und welche dem Rosa?
Pink ist das englische Wort für Rosa und die Nelke als Blume. Im Deutschen steht der Begriff aber für ein sattes Rosa, das in der Natur kaum vorkommt. Dem nicht genug, gibt es mit Shocking Pink, Hotpink und Deeppink Farbtöne von extremer Intensität, jedoch unterschiedlicher Tonalität. Mehrdeutigkeit und Bedeutung genau dieser Farbe stehen im Zentrum eines Forschungsprojekts des Museums, bei dem Objekte in die Sammlung aufgenommen und Vorhandene auf ihre Pink-Qualität untersucht werden. Zusammen mit Anekdoten und persönlichen Objekten sind sie ab Mittwoch in der Ausstellung "Wem gehört Pink?" des TMW zu sehen.
"Es gibt keine scharfe Grenze, etwa zwischen Rot und Blau"
"Wir nehmen Farben als Kontinuum wahr. Es gibt keine scharfe Grenze, etwa zwischen Rot und Blau. Begrifflich teilen wie beide jedoch in Kategorien ein, die den Namen zugehörig sind", berichtet Paolo Bartolomeo vom Institut für Gehirn und Rückenmark des Salpetriere-Spitals in Paris. In einer Studie testete er die Farbwahrnehmung eines Schlaganfall-Patienten, der sie zwar alle sehen, sie aber nicht alle zuordnen konnte. Unbuntes Schwarz, Weiß und Grau reihte er richtig ein, buntes Rot, Blau oder Grün jedoch nicht. Bartolomeo geht davon aus, dass das Sprachsystem Schwarz, Weiß und Grau anders verarbeitet als die Bunt-Töne. Schon allein wer Kieselsteine sammelt, merkt, wie viel Arbeit das Gehirn hat, wenn es Farben einordnet. Denn ab wann ist ein grauer Stein grün, weiß, gelb, rötlich, bläulich oder braun?
Die ersten Höhlenmalereien entstanden vor 250.000 Jahren. Frühe Maler mussten wohl intensiv mischen, denn sie hatten nur eine begrenzte Palette: Ocker in Gelb und Rostrot, Kreideweiß, Lampenschwarz, Beinweiß und Beinschwarz. Im Altertum kamen türkisartiges Ägyptischblau, schwefelgelbes Auripigment und ein Farbstoff aus dem als "rotes Arsenik" bekannten Realgar-Mineral hinzu, berichtet David Coles in seinem Buch "Farbpigmente: 50 Farben und ihre Geschichte". Bis Mitte der 1850er Jahre wurden zum Färben zumeist Naturfarben verwendet. Mit der Industrie begann die Ära der synthetischen Farben.
Die erste, von britischen Chemikern entdeckte synthetische Farbe war Mauvein, eine Malven-Farbe, zunächst auf der Basis der Krapp-Pflanze. "Ein Kleid, das Königin Viktoria in dieser Farbe trug, machte Mauvein zur Mode, es musste in Mengen erzeugt werden.", erklärt Weitensfelder. Es folgte der Kampf um Indigo-Blau, das von Pflanzen aus englischen Kolonien stammte und von der Industrie Deutschlands bedroht war. "Die British Navy erließ eine Vorschrift, dass englische Marineuniformen aus natürlichem Indigo gefärbt sein müssen."
Die intensiven synthetischen Farben wurden aus Abfallmaterialien der Kohlenchemie hergestellt. "Es handelte sich um Rückstände der Leuchtgas-Produktion. Aus diesem unscheinbaren, braunen, stinkenden Material ließ sich eine riesige Palette von Farben erzeugen", erklärt Weitensfelder. Ab den 1860er Jahren entstanden kleine Fabriken, die dann zu weltumspannenden Farbenkonzernen wurden. Auch der Pharmariese Bayer und die später nationalsozialistische IG Farben begannen als Farbenfabriken.
Allein im Pantone-System können heute zwischen 3000 und 4000 Farben gedruckt werden. Im Lauf der Jahrzehnte wurden die Farben lauter, kräftiger, poppiger. Wie Pink. So kräftig es wirken mag, so schwer ist es dingfest zu machen.