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Meine Daten: Was weiß ich - und was wissen die anderen?

Von Barbara Wiesner

Gastkommentare

Gastkommentar: Der Wert der digitalen Spuren - und welche großen Unbekannten sie sammeln.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die bei der aktuellen Elektronikmesse CES in Las Vegas vorgestellten Neuerungen zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass eine Flut von Daten gesammelt wird. Spitzenreiter dürften die Smart Citys sein, die zu den großen Trends auf der CES zählen.

Unsere Daten, das sind die vielen digitalen Datenspuren, die jeder zurücklässt, die einigen weniger, die anderen mehr. Ganz vermeiden lassen sie sich nicht. Und diese Daten sagen sehr viel über diejenige Person aus, zu der sie gehören. Jeder Einzelne kennt seine Daten: seinen Namen, sein Alter, sein Geschlecht, seine Adresse, sein Einkommen usw. Er kann sich akribisch merken, welche Angaben er wo gemacht hat.

Das bedeutet aber nicht, dass nur diese Daten über ihn gespeichert werden. Es können auch Informationen von Freunden und Bekannten sein oder solche, die aus ganz anderen Quellen stammen. Außerdem werden durch die Analyse der Daten völlig neue Erkenntnisse gewonnen, von denen der Betroffene keinerlei Ahnung hat. Ganz abgesehen, dass hier unter Umständen auch Quellen hinzugezogen werden, deren Verlässlichkeit nicht garantiert ist. All das kann ich nicht wissen.

Inzwischen hat man erkannt, dass in unserer digitalen Welt diese Daten sehr wertvoll sind. Insofern versucht man Menschen zu bewegen, möglichst viele Datenspuren zu hinterlassen. Ganz berühmt ist zum Beispiel das Zitat von Scott McNealy, einem der Gründer von Sun Microsystems von 1999: "Sie haben keine Privatsphäre mehr. Finden Sie sich damit ab." Ähnliche Aussagen gib es auch von Oracle-Chef Larry Ellison (2001) und Facebook-Gründer Marc Zuckerberg (2010).

Wenn man sowieso keine Privatsphäre hat, dann braucht man seine Daten auch nicht geheim zu halten. Und genau darum geht es. Für diese Konzerne ist es existenziell, diese Daten zu bekommen. Darauf beruht ihr Geschäftsmodell. Mit diesen Daten verdienen sie Milliarden. Und um dieses Ziel zu erreichen, ist ihnen jedes Mittel recht.

Daten werden gesammelt, weitergegeben, verkauft, analysiert, mit anderen Datensammlungen verknüpft. Diese Vorgehensweisen sind völlig intransparent. Der Einzelne hat keinerlei Informationen darüber, was über ihn gespeichert wird. Bei diesem ungleichen Kräfteverhältnis liegt die ganze Macht weitgehend bei denen, die im Besitz dieser Daten sind. Hier hat sich ein riesiges, unglaublich lukratives Geschäftsfeld herausgebildet. Meglena Kuneva, ehemalige EU-Kommissarin für Verbraucherschutz, bezeichnet persönliche Daten als "das neue Öl des Internets und die neue Währung der digitalen Welt". Wer im Besitz der Daten ist, den erwarten horrende Gewinne.

Daten, Daten, Daten

Diese Datenbesitzer sind einerseits die bekannten großen Konzerne Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft, auch mit dem Akronym "GAFAM" bezeichnet, die für ihre Datensammlungen berüchtigt sind. Aber sie sind nicht die einzigen Datensammler. Auch viele andere Firmen sammeln Daten in großem Stil. Besonders hervorzuheben sind hier die sogenannten Datenmakler. Es gibt sehr, sehr viele von ihnen, allein in den USA wird ihre Zahl auf mehrere tausend geschätzt.

Sie sammeln demografische Informationen: Namen, Adressen, Telefonnummern, E-Mail-Adressen, Geschlecht, Alter, Familienstand, Anzahl und Alter von Kindern im Haushalt, Bildungsniveau, Beruf, Einkommensniveau, politische Zugehörigkeit und Informationen über Autos, Häuser und anderes Eigentum. Sie erstellen Listen von Einkäufen mit Datum und Preis. Sie verfolgen Todesfälle, Scheidungen und Krankheiten in Familien. Sie sammeln alle Informationen darüber, was man im Internet tut.

Sie sammeln jedoch nicht nur Daten aus dem Internet, sondern auch Offline-Daten von Konsumenten, die man nicht so leicht im Internet findet, weil sie nicht von Google und Co., sondern von Firmen aus anderen Branchen und etwa von Behörden gesammelt wurden.

Die Datenmakler verfügen über riesige Datensammlungen. Diese werden analysiert und die Ergebnisse dann an Interessenten verkauft. Und das Interesse an diesen Informationen ist groß. Dabei geht es längst nicht mehr nur darum, wie man Werbung platzieren sollte, um möglichst viele Käufer zu finden. Anhand sehr detaillierter Persönlichkeitsprofile werden die Benutzer in Kategorien eingeteilt. Banken entscheiden anhand solcher Informationen, wem sie einen Kredit geben, Kreditkartenunternehmen, wem sie eine Kreditkarte ausstellen. Vermieter entscheiden, wem sie eine Wohnung vermieten, Arbeitgeber, wen sie einstellen. Sie alle versuchen auf diese Weisen ihr Risiko zu minimieren und gleichzeitig ihren Gewinn zu maximieren. Auch der Staat ist durchaus interessiert an diesen Informationen.

Datenmakler im Verborgenen

Kaum jemand kennt die Namen dieser großen Datenmakler. Wer hat schon einmal von Acxiom oder Equifax gehört? Diese Firmen arbeiten weitgehend im Verborgenen und ohne unsere Zustimmung. Wir sehen sie nicht und wissen nicht, wer sie sind. Wir sind nicht ihre Kunden. Aber wir sind das Produkt, dass diese Unternehmen an ihre Kunden verkaufen. Wir wissen nicht, welche Daten sie über uns gespeichert haben. Somit haben wir auch keine Möglichkeit, irgendwelche Fehler zu korrigieren. Aber sie teilen uns in Kategorien ein und treffen Entscheidungen über uns. Noch sind diese Vorgehensweisen in Europa nicht so verbreitet wie in den USA. Dort sind sie leider traurige Realität. Diese detaillierten Informationen bieten außerdem die Möglichkeit zur Beeinflussung, auch von Wahlen. So nahm Cambridge Analytica, eine großen Big-Data-Firma, für sich in Anspruch, eine "entscheidende Rolle" beim Zustandekommen des überraschenden Wahlsiegs von Donald Trump gespielt zu haben. Solche Manipulationen mögen zurzeit in den Bereich der Spekulation fallen. Doch könnte dies in einigen Jahren durchaus möglich sein.

Daten in kriminellen Händen

Was man auch nicht vergessen sollte: Diese Datenbestände fallen immer wieder in die Hände Krimineller, die sie für ihre Zwecke zu nutzen wissen. Es vergeht kaum eine Woche ohne einen Datendiebstahl in irgendeinem Unternehmen. Diese Kriminellen gehören damit ebenfalls zu den anderen, die viel über uns wissen.

Jemand hat einmal die Beziehung zwischen Datenunternehmen und Einzelpersonen mit einem Pokerspiel verglichen, bei dem einer der Spieler seine Hand geöffnet hat und der andere seine Karten geschlossen hält. Der Einzelne steht diesem Machtkonglomerat weitgehend hilflos gegenüber. Will er nicht auf die Vorteile der Digitalisierung verzichten, bleibt ihm nur, bei der Herausgabe von Daten sehr sorgsam und sparsam vorzugehen. Die Schweizer Wochenzeitung "WOZ" hat dazu gemeinsam mit der Digitalen Gesellschaft und dem Chaos Computer Club Schweiz den Ratgeber "Eine kurze Anleitung zur digitalen Selbstverteidigung" veröffentlicht (www.woz.ch/verteidigung).

Wichtig sind nicht nur private Organisationen, die sich für den Schutz der Nutzer einsetzen und bei denen sich Einzelne engagieren können. Gefragt ist hier auch der Staat. Nur er hat über die Gesetzgebung die Möglichkeit, wirksame Grenzen zu ziehen.

Zur Autorin

Barbara
Wiesner

war von 1992 bis 2006 Professorin für Informatik an der Technischen Hochschule Brandenburg. Zu ihren Spezialgebieten gehörten Sicherheit, Kryptographie und Privacy. Inzwischen ist sie im Ruhestand und lebt in Wien.