Norbert Hofer zitiert in einem TV-Duell aus einer Diplomarbeit. Laut Verfasserin hat er die Aussage völlig verdreht.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. "Ich bin ein sehr, sehr großer Freund von einer faktenbasierten Diskussion", sagt Norbert Hofer im TV-Duell auf Puls 4. "Es gibt eine Diplomarbeit aus dem Jahr 2009, Uni Wien. Probleme im Krankenhaus und Pflegealltag mit islamischen Patienten. Die Dinge, die hier festgeschrieben sind, zeichnen den Alltag." So sei es manchen Muslimen unangenehm, einer gegengeschlechtlichen Person die Hand zu schütteln. Schweinefleisch dürfe nicht mit Küchengeräten in Berührung kommen. "Also, ein strenggläubiger Muslim, der das umsetzt und sagt: Es darf keinen Händedruck geben, kann natürlich diese Aufgaben nicht durchführen", schließt Hofer am 20. November vor einer halben Million TV-Zusehern – und stützt damit seine Behauptung, dass es in Österreich keine muslimischen Pflegekräfte gebe.
"Unvollständig und völlig aus dem Zusammenhang gerissen", bezeichnet Daniela Arnhof das Zitat. Sie hat die Diplomarbeit vor sieben Jahren verfasst – vermutlich nicht mit der Erwartung, jemals von einem Präsidentschaftskandidaten der FPÖ zitiert zu werden. Ihre Arbeit greife Probleme mit muslimischen Patienten auf. Es geht also keineswegs um muslimisches Pflegepersonal, wie Hofer suggeriert. Vielmehr schlägt die Arbeit vor, Patienten besser zu integrieren, etwa durch Dolmetscher oder multireligiöse Gebetsräume. Hofers Zitat ergebe einen "total verkehrten Sinn", schreibt sie der "Wiener Zeitung" in einem E-Mail: "Ich wehre mich dagegen, dass auf diese Art und Weise meine Diplomarbeit missbraucht wird".
Am Dienstagabend wurde Hofer von Puls 4 mit dem Vorwurf Arnhofs konfrontiert. Er besteht darauf, die Arbeit richtig verstanden und zitiert zu haben. Beim Pflegepersonal gebe es die gleichen Probleme wie bei Patienten, sagt er: "Es ist sehr, sehr schwer für einen strenggläubigen Muslim, wo auch der Koran überzogen ausgelegt wird, so eine Tätigkeit auszuüben." Es gebe aber auch sehr viele liberale Muslime, die das anders sehen, "und da bin ich sehr dankbar", relativiert er.
"Pfleger müssen sich in Tagesablauf einordnen"
Neun Tage vor besagtem TV-Duell hatte Hofer behauptet, dass Muslime in Österreich grundsätzlich nicht in der Pflege arbeiten würden. "Da heißt es immer, wir brauchen diese Menschen im Pflegebereich. Kennt ihr einen Moslem, der im Pflegebereich arbeitet, der bereit ist, unseren Senioren vielleicht die Windel zu wechseln? Ich kenne das nicht", hatte er auf einer Wahlkampfveranstaltung in Tirol gesagt. Seither wurde er von der Caritas, dem Rotem Kreuz und anderen Organisationen auf die Falschaussage hingewiesen: Sie würden durchaus Muslime beschäftigen.
Nun versucht Hofer, seine Aussage mit einer wissenschaftlichen Arbeit zu legitimieren. Dass er sie dabei in einen falschen Zusammenhang stellt, ist zum Zeitpunkt der Übertragung nebensächlich. Ein beträchtlicher Anteil der halben Million Zuseher schenkt dem Präsidentschaftskandidaten wohl Glauben - schließlich zitiert er aus einer Diplomarbeit.
Matthias Beck, der Betreuer der Diplomarbeit, sieht schlichtweg keinen Zusammenhang zwischen dem Inhalt der Arbeit und der aktuellen politischen Debatte. Man könne muslimische Patienten und Pfleger nicht in einen Topf werfen. "Pfleger müssen sich in einen großen Tagesablauf einordnen. Da bleibt normalerweise kein Platz für große religiöse Gespräche. Deswegen will diese Arbeit ein größeres Verständnis für den jeweils anderen erreichen", erklärt der Medizinethiker. Es sei schon immer so gewesen, dass in Krankenhäusern viele Kulturen zusammenkommen. "Ich verstehe nicht, warum das so hochgespielt wird. Vielleicht wegen der aktuellen Migrationsbewegungen", sagt er.
Vom multireligiösen Gebetsraum zur FPÖ
Hofer rät während der TV-Konfrontation zur Lektüre: "Diese Diplomarbeit ist sehr interessant und kann ich jedem ans Herz legen", sagt er. Folgt man Hofers Tipp, entsteht ein abstruses Bild. Man liest nicht nur von Problemen, sondern von Lösungsansätzen. Von multireligiösen Gebetsräumen und Dolmetschern in medizinischen Einrichtungen. Von einem multikulturellen Seniorenzentrum in Duisburg, das Arnhof für Recherchezwecke besucht hat. Sie kritisiert, dass es "in Österreich bislang keine Einrichtung gibt, die multikulturell geführt wird. In Deutschland hingegen wurden schon fast alle Pflegeheime des Roten Kreuzes nach und nach umfunktioniert." Wie passt das zur Linie der FPÖ? Hat Hofer oder sein Wahlkampfteam die Arbeit überhaupt gelesen?
Allein die Tatsache, dass Hofer während des TV-Duells von seinen Unterlagen abliest, erweckt beim Zuseher den Eindruck: Er hat das Dokument ausgedruckt, also wird er es zumindest überflogen haben. Stoppt man die Videoaufnahme, kann man allerdings selbst von Hofers Unterlagen ablesen. Demnach hat er Zitate und Quelle von seinem Pressesprecher Belakowitsch via E-Mail erhalten.
Konrad Belakowitsch gibt auf Anfrage der "Wiener Zeitung" an, das 107-seitige Dokument gelesen zu haben. Dass die Diplomarbeit aus dem Zusammenhang gerissen wurde, denkt er nicht. Vielmehr stehe sie exemplarisch für all die Literatur, die es zu dem Thema gebe. "Sie beschreibt die Situation ganz gut. Die Autorin bezieht sich auf weiterführende Literatur, kommt aber auch zu eigenen Schlüssen", sagt er. Zu Schlüssen wie diesem etwa: "Ich hoffe, es gelang mir, durch meine Arbeit jedem Leser einen kleinen Denkanstoß mitzugeben, der ihn anspornt, über seine eigenen Einstellungen und Erfahrungen zu anderen Religionen, im speziellen zu Muslimen, zu reflektieren", schreibt Arnhof in ihrem Schlusswort.
Diplomarbeit "Probleme im Krankenhaus- und Pflegealltag mit islamischen Patienten"
TV-Duell "Wer wird Präsident?"auf Puls 4