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"Meine große Furcht ist der erste Tote"

Von Michal Schmölzer

Politik

Der Wiener Romanistik-Professor Georg Kremnitz warnt vor einer Eskalation in der Katalonien-Krise


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Wien.  Barcelona erklärt die Unabhängigkeit, Madrid gibt im Gegenzug grünes Licht für die Zwangsverwaltung Kataloniens: Für den Wiener Universitätsprofessor Georg Kremnitz eine Entwicklung, die gefährlich werden könnte. Zunächst stelle sich die Frage, ob die spanische Regierung "wirklich massiv durchgreift" und damit Gefahr laufe, dass die Sache "noch weiter eskaliert": "Meine große Furcht ist der erste Tote", so Kremnitz im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Wenn es einen Toten gibt, dann ist der Teufel los."

Der Romanistik-Professor glaubt aber, "dass das auch die spanische Regierung verstanden" habe. Auf der anderen Seite handle es sich "natürlich um politisches Ausnahmerecht", das die spanische Regierung setzen wolle. Kremnitz gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass Madrid in seinen  Auseinandersetzungen mit dem Baskenland eine "ganze Reihe von Gesetzen" erlassen habe, die "eher in die frühere Sowjetunion gepasst hätten als in eine Demokratie". Die Frage sei nun, ob Madrid dieses Arsenal in der aktuellen Situation einsetzen werde.

In diesem Arsenal enthalten sei etwa die Möglichkeit, dass alle Vertreter der Unabhängigkeit ihres Wahlrechts enthoben würden. "Das ist im Baskenland geschehen", weiß Kremnitz, "da wurde Menschen, die politisch hervorgetreten sind, das passive Wahlrecht aberkannt".

Bei der Erstellung der spanischen Verfassung  habe das Militär ein gewichtiges Wort mitgesprochen. "Das Militär hat dem Verfassungsausschuss gesagt, die Artikel 2 und 155, die müssen drinnen stehen, sonst ist der Teufel los." Der Artikel 155, also die Aberkennung der katalonischen Autonomie, lasse natürlich verschiedenen Optionen zu. Welche Option die spanische Regierung nun ergreifen werde, das sei noch nicht klar. Klar sei aber: "Wir bewegen uns von einer friedlichen Lösung weg." Konsens werde derzeit keiner aufgebaut.

Die unmittelbare Gefahr eine kriegerischen Eskalation sieht Kremnitz nicht: "Die dümmste Option -  die ich aber  für unwahrscheinlich halte -  wäre ein Einmarsch des Militärs und die Verhaftung des politischen Personals. "Das wäre ein Grund für die EU, Spanien an den Pranger zu stellen." Es gäbe klares EU-Recht, das das unterbinde. Und natürlich könne bei Polizeimaßnahmen jederzeit etwas schief gehen. "Und dann wird es unkontrollierbar, und da reicht ein relativ kleines Fünkchen." Schon die Bilder von der Volksabstimmung vom 1. Oktober, als "alte Frauen und Männer von der Guardia Civil angegriffen worden" wären, seien ja in keine Werbung für die Position der spanischen Regierung.

Auch die Katalanen würden nicht immer geschickt agieren, so Kremnitz, "es gibt eine interne Debatte – wollen wir hart sein oder nicht". Jetzt müsse Brüssel reagieren,  "das ist jetzt kein interner Streit mehr, das wird jetzt zu einem Problem für die EU".

Was Kremnitz zusätzlich Sorgen bereitet: Spanien habe seine diktatorische Franco-Vergangenheit nie ernsthaft bearbeitet, "die alten Geisteshaltungen gibt es sehr wohl noch". Außerdem habe er das Gefühl, dass das alte koloniale Denken bis heute nicht überwunden wäre. Das sei Denken nach dem Prinzip: "Die haben verloren, die haben wir erobert und die haben zu kuschen: Das spielt noch eine massive Rolle."