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Meine Nachbarin, die Hure

Von Solmaz Khorsand

Politik
Dutzende folgten dem Aufruf der Info-Kampagne "Geh ma ins Puff".
© Bogdan Floricica

Lobby: Gewalteinsätze seit Novelle um 30 Prozent gestiegen.


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Wien. Ungewohnt ist die Rolle für Dani. So im Rampenlicht zu stehen, umzingelt von mindestens 50 Augenpaaren, die wissen wollen, wie aus ihr das wurde, was sie heute ist: eine Prostituierte. Oder wie sie sich nennt, eine Sexarbeiterin. Nervös sitzt die 30-Jährige auf dem Bett des Stundenhotels in der Stuwerstraße 5 im 2. Bezirk. Gemeinsam mit Herrn Emmerich, dem Betreiber des Stundenhotels, und Christian Knappik, dem Sprecher des Internetforums "sexworker.at", einer Plattform, auf der sich Prostituierte austauschen, gibt Dani Einblicke in ihren Alltag.

Mit dem neuen Wiener Prostitutionsgesetz, das seit November 2011 in Kraft ist, wird viel über Dani und ihre Kolleginnen geschrieben. 3255 Prostituierte sind in Wien gemeldet, 150 von ihnen arbeiten auf der Straße. Seit der Gesetzesnovelle dürfen sie nicht mehr in Wohngebieten stehen. Die Straßenstriche Felberstraße, Linzerstraße und Äußere Mariahilfer Straße sind verschwunden und die Szene verlagerte sich in den Prater, in den Auhof nahe der Autobahnstraße im 14. Bezirk und auf die Brunnerstraße in Liesing. Am 26. September wird der Gemeinderat den Prater nun auch zum Wohngebiet erklären und damit eine weitere Verbotszone für die Frauen schaffen.

"Wir leben gerne in diesem Viertel. Wir haben schöne und billige Wohnungen. Und mit der Wirtschaftsuniversität wird das Viertel aufgewertet, aber das soll nicht auf Kosten der Frauen passieren", sagt Eva Müller. Die Anrainerin gehört dem Stuwerkomitee an, einer Bürgerinitiative, die sich mit ihrer Kampagne "Rotlicht statt Blaulicht" gegen das neue Prostitutionsgesetz starkmachen will. Unter anderem plant das Komitee eine Initiative, die die Prostitution im Stuwerviertel zum Weltkulturerbe erklärt. "Die Huren gehören zu unserem Viertel. Sie sind unsere Nachbarn, wir treffen sie auf dem Weg zum Tschickautomaten, warnen sie vor den Kiberern und plaudern mit ihnen", erzählt Tina Leisch, eine der Initiatoren des Komitees während der Auftaktveranstaltung der Kampagne. Unter dem Motto "Geh ma ins Puff" hat man Anrainer und Interessierte am Mittwochabend in Herrn Emmerichs Stundenhotel geladen.

Der Zuhälter kommt

wieder auf das Tapet

Es ist eine Institution in dem Viertel. Der 70-jährige Betreiber gilt als Legende. Herausgeputzt hat sich Herr Emmerich für den Abend in seinem dunklen Nadelstreifanzug. Seit den 80er Jahren betreibt der gelernte Fleischer das Dreizimmer-Etablissement. In der Rezeption empfängt er seine Gäste mit Kaffee, Tee und Wein. Dutzende junge Männer und Frauen sind diesen Abend in die Stuwer-straße geströmt, um sich von ihm das Business erklären zu lassen.

Drei Frauen besuchen immer wieder sein Hotel. Sie alle sind schlank, wie Herr Emmerich sagt, mit den "Bladen" kann er wenig anfangen. Für das Zimmer zahlen sie ihm 10 Euro für eine halbe Stunde. Für ihre Diensten verlangen die Frauen in der Regel 30 Euro. "Papi", wie Herr Emmerich von den Prostituierten genannt wird, versucht oftmals bei den Freiern einen besseren Preis für die Frauen auszuverhandeln, wie eine Besucherin der Veranstaltung liebevoll erzählt.

Pro Tag macht Herr Emmerich laut eigenen Angaben einen Umsatz von 30 Euro. Karge Zeiten. Und seit der Gesetzesnovelle sind sie noch härter geworden. Nun muss er kontrollieren, ob jede Frau, die sein Hotel betritt, auch registriert ist. Also einen "Deckel" hat. Hat sie diesen nicht, drohen auch ihm Strafen.

Lauschig findet Christian Knappik Herrn Emmerichs Stundenhotel nicht. Es ist ihm aber lieber als die Büsche im Auhof. "Wenn die Frau hier quietscht, steht Herr Emmerich auf der Matte. Draußen im Auhof ist niemand", sagt Knappik. Aus diesem Grund kommt nun eine ausgestorben geglaubte Spezies wieder auf das Tapet: der Zuhälter, der in den dunklen Straßen im Auhof, wo es kein Bett, keine Toilette und keine Waschmöglichkeit gibt, die Frauen beschützt, wenn es hart auf hart kommt.

Wütend machen Knappik die derzeitigen Zustände auf der Straße. Dass Frauen in einer Stunden schon einmal drei Anzeigen in der Höhe von 1800 Euro ausfassen können, weil sie Augenkontakt zu einem Autolenker gesucht haben oder sich in einem Wohngebiet aufgehalten haben, weil sie in Kampfmontur nach getaner Arbeit nach Hause gestöckelt sind. Das habe laut Knappik nun die Folge, dass viele Frauen in Sweater und Jeans arbeiten. "Der Kunde weiß nicht mehr, wie eine Sexworkerin aussieht, und spricht jetzt Hausfrauen an", erzählt Knappik. 24 Stunden hat der Mittfünfziger sein Notrufhandy eingeschaltet. Ihn rufen die Frauen an, wenn sie einen Handyvertrag brauchen, ihnen die Kondome ausgegangen sind oder ein Freier gewalttätig wird. Dann rückt der Hüne mit der dichten Haartolle und der lauten Stimme aus. "Seit dem neuen Prostitutionsgesetz ist die Anzahl unserer Gewalteinsätze um 30 Prozent gestiegen", berichtet Knappik in die betroffene Runde junger Gesichter.

Auf dem Straßenstrich hat Dani nie gearbeitet. Sie ist im Escort-Service. Bis zu 100 Euro kriegt die junge Frau mit den dunklen Haaren pro Stunde. Doch schnelles Geld lässt sich auch mit Escort nicht mehr verdienen. Die Zeiten sind härter geworden. Und die Konkurrenz wird immer jünger. Und billiger.