Die Debatte um die Aufarbeitung der Geschichte von Katyn belastet das Verhältnis zwischen Warschau und Moskau auch 70 Jahre nach dem Massaker an tausenden polnischen Offizieren.
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Meinen Großvater rettete der Ausweis eines anderen. Ende 1939 war er mit anderen polnischen Soldaten aus seiner Einheit nach Hause unterwegs, nachdem das polnische Heer aufgelöst worden war. An der heutigen Grenze zu Russland griffen sowjetische Soldaten die Männer auf. Sie forderten die Polen auf, sich in einer Reihe aufzustellen. "Arme vorstrecken", lautete dann der Befehl. Ein Russe ging die Gruppe ab, betrachtete die Hände. Wer glatte hatte, wurde nach rechts geschickt. Wer rauhe, abgearbeitete Hände vorzeigen konnte, hatte Glück. Er wurde als einfacher Soldat und nicht als Offizier eingestuft.
Mein Großvater hatte glatte Hände. Jozef Czarnowski hatte tatsächlich eine Offiziersdienstgrad: Er war Leutnant. Doch das war nicht zu beweisen. Sein Rangabzeichen hatte er kurz zuvor weggeworfen, seine Waffe ebenfalls. Er hatte nur den Ausweis eines Soldaten dabei. Es waren die Papiere eines gefallenen Kameraden. Der hatte vor seinem Tod meinen Großvater gebeten, die Dokumente seiner Familie zu überbringen.
Als der Leutnant daher in die rechte Gruppe geschickt werden sollte, zog er den Ausweis des Soldaten hervor. Die Russen ließen von ihm ab. Die anderen Männer wurden abgeführt und weggebracht, irgendwohin in den Osten. Wohin, das wusste damals noch niemand. Katyn war damals noch kein Begriff.
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Als Wehrmachtssoldaten 1943 bei Katyn in der Nähe der westrussischen Stadt Smolensk Massengräber entdeckten, prangerten die Nazis gleich öffentlich die Gräuel der Sowjets an. Diese leugneten ihre Verantwortung und schoben die Schuld den Deutschen zu. Über Jahrzehnte war die sowjetische Version, dass es nicht die Einheiten des Innenministeriums NKWD waren, die im Frühjahr 1940 tausende polnische Offiziere ermordet haben. Und es waren nicht nur Offiziere. Auf Befehl des Politbüros der sowjetischen KP wurden auch Reservisten, Polizisten, Intellektuelle umgebracht. Bis zu 30.000 Menschen wurden erschossen, ihre Leichen in Wäldern verscharrt.
Erst Michail Gorbatschow gestand 1990 öffentlich ein, dass die NKWD für die Massaker verantwortlich war. Doch die Debatte um die Aufarbeitung der Geschichte belastet das Verhältnis zwischen Warschau und Moskau bis heute. Noch immer hat Russland nicht alle Archive geöffnet. Es will auch nicht - wie etwa von Polens Staatspräsident Lech Kaczynski gefordert - von einem Völkermord sprechen. Und noch immer ist von tausenden Menschen unklar, wo sich ihr Grab befindet.
Daher hat Warschau mit Wohlwollen eine Geste aus Moskau aufgenommen. Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin persönlich hat seinen polnischen Amtskollegen Donald Tusk zu den Gedenkfeiern zum 70. Jahrestag von Katyn am kommenden Mittwoch eingeladen.
Auch Präsident Kaczynski hat seinen Besuch in Russland an der Spitze einer polnischen Delegation angesagt. Die Protokollschwierigkeiten, wer nun der ranghöchste Repräsentant Polens ist, wurden umschifft, indem Tusk und Kaczynski getrennt nach Russland reisen. So soll sich Tusk am 7. April mit Putin treffen, Kaczynski wird drei Tage später an weiteren Feierlichkeiten in Katyn teilnehmen.
Durch die doppelte Vertretung geriet auch das polnische öffentlich-rechtliche Fernsehen ein wenig in die Bredouille. Die Regierung in Warschau bat nämlich um eine Sendung über die Feiern mit Tusk. Ursprünglich aber wollte TVP nur die Aktivitäten vom 10. April übertragen. Nun wird es wohl schon drei Tage früher mit einem Übertragungswagen in Katyn sein.