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Meister Petz in der Wüste

Von Roland Knauer

Wissen

Forschungsprojekt soll den weitgehend unbekannten Ureinwohner retten.


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Berlin. Ein relativ kleiner Bär, der durch die karge Wüstensteppe Gobi weit im Süden der Mongolei tappt und für sein Leben gern Rhabarber kaut: Mit dieser Beschreibung erntet Ralf Hotzy vom Landesbund für Vogelschutz (LBV) in Bayern oft ein ungläubiges Kopfschütteln.

Der Biologe bindet allerdings niemandem einen Bären auf. Den Rhabarber-fressenden Gobi-Bären haben zwar nur wenige Menschen jemals gesehen, aber es gibt ihn. Und er scheint eines der seltensten Tiere der Erde zu sein. Genau deshalb kümmern sich die bayerischen Naturschützer um die seltene Art in Zentralasien.

Dabei weiß niemand so recht, ob der Gobi-Bär wirklich eine eigene Art ist. Russische Forscher nehmen das zwar an und haben ihn auf den Namen "Ursus gobiensis" getauft. Sein Erbgut verrät aber eine relativ enge Verwandtschaft mit dem Himalaya-Bären, der wiederum eine Unterart des Braunbären ist. Demnach wäre der Gobi-Bär so wie Bruno, der 2006 den Süden Bayerns besuchte, ein Braunbär.

Für Ralf Hotzy sind das jedoch akademische Diskussionen: "In der Natur ist der Gobi-Bär einmalig und kann auch nicht vom Himalaya-Bären ersetzt werden", erklärt der LBV-Naturschützer. Während alle anderen Braunbären in Wäldern oder auf Grasländern mit möglichen Verstecken in dichter Vegetation leben, streift der Gobi-Bär durch die karge Wüstensteppe im Süden der Mongolei an der Grenze zu China. "Nirgendwo sonst leben Bären in der Wüste", sagt Hotzy. Würde man Verwandte aus anderen Regionen dort freilassen, würden sie vermutlich so schnell verhungern wie ein mitteleuropäischer Großstädter, den das Schicksal allein in die Wüste verschlagen hat. In der einsamen Landschaft schlägt sich eben nur der durch, der das Überleben dort von der Pike auf gelernt hat und weiß, wo der Kleine Rhabarber Rheum nanum oder der Salpeterstrauch Nitraria sibirica wächst. Das sind typische Pflanzen in den Salzwüsten Zentralasiens und ein Grundnahrungsmittel für den Gobi-Bären.

Früher war es vermutlich anders. "Steinzeitmenschen haben in der Gegend, in der heute die Bären leben, Felszeichnungen von Elchen hinterlassen", so Hotzy. Da Elche gern in sumpfigen und waldigen Regionen weiden, sollte es in der Wüste Gobi einst feuchter gewesen sein. Als es dann trockener wurde, verschwanden die Elche. Die ebenfalls dort lebenden Bären aber passten sich an das Leben in der Wüste an, die allmählich entstand. Der Gobi-Bär scheint also eine "Relikt-Art" zu sein, die aus einer feuchteren Epoche übrig geblieben ist.

In der kahlen Landschaft ist Schmalhans Küchenmeister

Ein Schlaraffenland ist die für die Bären bestimmt nicht. Die Schluchten sind trocken, die Berghänge öde und kahl. Nur in einigen Oasen sprießt das Grün üppiger. Zum Überleben finden die Tiere zwar genug Rhabarber, doch Schmalhans ist Küchenmeister. Selbst gewichtige Vertreter des Gobi-Bären bringen keine 100 Kilo auf die Waage - ein schwedischer Braunbär kommt leicht auf das Doppelte. Mit einer dicken Speckschicht kann sich der Skandinavier zum Winterschlaf zurückziehen. "Beim Gobi-Bären reichen die Fettvorräte kaum zum Durchschlafen", vermutet Hotzy. Der Wüstenbewohner steht daher zwischendurch immer wieder auf und sucht in der winterlichen Wüste nach Fressbarem. Offensichtlich lebt der Gobi-Bär am Existenzminimum.

Viele seiner Art hat es wohl nie gegeben. Kommt in dieser Situation ein Störfaktor dazu, kann es um einen Bestand schnell geschehen sein. In der Wüste Gobi heißt der Störfaktor "Mensch". Hirten ziehen in die Region, deren Herden den Bären die spärliche Vegetation vor der Schnauze wegfressen. In den Oasen tränken sie ihre Tiere und vertreiben Meister Petz von der Wasserversorgung. Denn die Bären gehen Menschen aus dem Weg und verlieren so zunehmend ihre Heimat.

Immer wieder kommen auch Goldgräber in die Region, die längst unter Naturschutz steht. Auch sie stören die scheuen Bären. Wilderer aus dem benachbarten China, die sich mit Organen wie der in der traditionellen Medizin begehrten Bären-Galle, Geld verdienen wollen, bedrohen die Bären zudem mit Kugeln oder Fallen. US-Wissenschafter zählten jüngst nur noch 14 männliche und acht weibliche Gobi-Bären.

Neue Station zur Erforschung und zum Schutz des Bären

Ralf Hotzy vermutet rund 50 überlebende Wüstenbewohner im zotteligen Pelz, doch auch diese Zahl bedeutet, dass der Gobi-Bär vom Aussterben bedroht ist. Aus diesem Grund hat der LBV ein Projekt Gobi-Bär gestartet. Im Sommer 2012 wurde in der Oase Echin Gol eine biologische Station eröffnet, von der aus das Leben der Bären erforscht und die Tiere geschützt werden sollen. "In diesem Sommer haben wir mehr als hundert Kameras aufgestellt, die automatisch auslösen", erklärt Hotzy weiter. Hoffentlich geht der eine oder andere Bär in die Fotofalle und verrät so ein wenig aus seinem noch weitgehend unbekannten Leben als Hinweise, wie er vor dem Aussterben gerettet werden kann. Und das ist extrem wichtig. Denn einen Ersatz für diesen einmaligen Wüsten-Bären wird es nicht geben, weil jeder andere als der Ureinwohner in der Gobi verhungern würde.