Kooperativer Dialog zwischen dem Mathematiker Martin Nowak und Kardinal Christoph Schönborn.
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Wien. Im Jänner 2007 feierte man Wesley Autrey in New York als Helden. Der Arbeiter sah, wie ein junger Mann einen epileptischen Anfall erlitt und auf die U-Bahn-Gleise stürzte. Spontan versuchte Autrey ihn vor dem bereits einfahrenden Zug wegzuziehen. Als er sah, dass sich das nicht mehr ausgehen würde, warf er sich über Cameron Hollopeter und drückte ihn zwischen den Schienen ganz tief nach unten. Beide überlebten unter dem über sie fahrenden Zug.
Der aus Österreich stammende Biologe und Mathematiker Martin Nowak brachte in seinem Vortrag zum Thema "Die Evolution und der Egoismus" beim Alpbach Talk am Mittwochabend diese Geschichte als Beispiel für die Bereitschaft, anderen unter Lebensgefahr zu helfen. Er führte aus, dass schon vor Milliarden Jahren Bakterien bis zur Lebenshingabe einzelner Lebewesen für andere kooperierten, dass Vielzeller nur durch Zusammenarbeit entstehen konnten, dass ohne Kooperation keine höheren Lebewesen möglich gewesen wären. Krebs sei hingegen ein Zusammenbruch der Kooperation.
Die gut besuchte Veranstaltung wurde vom Europäischen Forum Alpbach zusammen mit der "Wiener Zeitung", deren Geschäftsführer Wolfgang Riedler die Diskussion moderierte, und mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, deren Festsaal erstmals Ort eines Alpbach Talks war, durchgeführt.
Für Nowak ergänzt die Kooperation als "Meisterarchitekt der Evolution" das Modell von Mutation und Selektion, wie es Charles Darwin in seiner Evolutionstheorie dargelegt hat. Der Professor an der Harvard University (USA) und Autor des Buches "Kooperative Intelligenz" (2013) erläuterte am Beispiel "Gefangenendilemma", einem zentralen Teil der Spieltheorie, die Vorteile von Zusammenarbeit und Vergebung. Sein Fazit: "Evolution ist nicht nur Konkurrenzkampf, sondern auch Zusammenarbeit. Wir müssen globale Kooperation lernen - und Kooperation mit künftigen Generationen."
Sein Gesprächspartner, der Wiener Erzbischof und Kardinal Christoph Schönborn, zeigte sich erfreut über Nowaks Aussagen, sie seien eine notwendige Ergänzung zu Darwins Theorie: "Die Natur funktioniert doch viel mehr kooperativ als konfrontativ. Der ,struggle of life‘ ist Teil der Wirklichkeit, aber sicher nicht der größere." Schönborn räumte ein, seine Kritik am "Neodarwinismus" in einem Gastbeitrag für die "New York Times" (2005) sei "holzschnittartig" gewesen, er halte aber in vielem daran fest. Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins begehe einen "grundlegenden Methodenfehler", denn man könne Gott nicht naturwissenschaftlich widerlegen. Das Verständnis vieler Wissenschafter von Theologie sei "zu kurzatmig". Auch Darwin habe eine "sehr schlechte Theologie" gehabt, als er meinte, der Glaube an einen Schöpfer sei unvereinbar mit Entwicklung. Anderseits gebe es Fundamentalisten wie die "Young Earth"-Kreationisten - die an eine Erschaffung der Erde vor höchstens 10.000 Jahren innerhalb der in der Bibel genannten sechs Tage glauben -, das provoziere "den Spott der Ungläubigen".
"Design der Schöpfung"
Es war der Wissenschafter Nowak, der von einem "Design der Schöpfung" sprach und meinte, die Wissenschaft könne zwar viele Naturgesetze konstatieren, aber die Frage nach dem Warum - warum es zum Beispiel Schwerkraft gebe - nicht beantworten. Für ihn macht es "total Sinn", einen Schöpfer, der die Welt mit Naturgesetzen ausgestattet hat, anzunehmen. Schönborn ergänzte, wobei er sich aber explizit von der "Intelligent Design"-Bewegung distanzierte: "Die Wahrnehmung von Design, auch wenn dies nicht von der Evolutionstheorie begründet werden kann, ist für mich Evidenz der Vernunft."
Beide waren sich einig, dass die Frage, ob es einen Schöpfer gibt, wissenschaftlich nicht geklärt werden kann, aber auch darin, dass der Mensch einzigartig in der Natur ist. Für Nowak liegt das vor allem an der Fähigkeit zur Sprache, für Schönborn an dem, was die kirchliche Lehre "Geistseele" nennt, für den Kardinal die "Voraussetzung für die unveräußerlichen Menschenrechte". Dass sich Kooperation auch schon als sehr destruktiv erwiesen hat - etwa in totalitären Gesellschaften -, ließ in der spannenden Diskussion auch die Frage aufkommen, wie weit künftige Kooperationsforschung zu einer "Vermessung des Bösen" beitragen kann.