Ermittelnde Polizisten sollen Unterstützung von multiprofessionellen Expertenteams bekommen.
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Es sind wohl Fälle wie der eines Demonstranten, der mit gebrochenen Rippen endete, nachdem ihm ein Polizist in den Rücken gesprungen war. Oder das Video bei der Räumung des Klima-Camps in Wien von vergangenem Jahr, als ein Polizist einen Demonstranten von einem besetzten Bagger getreten hat, der daraufhin in den Armen anderer Beamter landete. Wenn es nach der Regierung geht, werden Fälle von möglicher Polizeigewalt künftig von einer eigenen Behörde untersucht. Justizministerin Alma Zadic stellte das Vorhaben Montagvormittag gemeinsam mit ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker, Grün-Abgeordneten Georg Bürstmayr und Bundespolizeidirektor Michael Takacs im Parlament vor. Zadic sprach von einem "echten Paradigmenwechsel", der das Vertrauen der Bevölkerung "in Demokratie und Exekutivgewalt" stärke.
Die Ermittlungs- und Beschwerdestelle (EBS) soll eine möglichst unabhängige Stelle sein und noch dieses Jahr eingeführt werden. Es ist die Umsetzung eines Vorhabens aus dem Regierungsabkommen und ein schwieriges obendrein: Die Verhandlungen dauerten lange, es sei schwierig gewesen, "alles unter einen Hut zu bringen", sagte Bürstmayr bei der Präsentation. Stocker sprach seinerseits von "einem guten Tag für die Regierungskoalition, einem guten Tag für die Exekutive".
Interdisziplinäre Teams und ein großer Beirat
Die neue Behörde wird im Bundesamt für Korruptionsprävention und -bekämpfung (BAK) angesiedelt werden, das im Innenministerium eine Sonderstellung einnimmt. Es ist schon jetzt abseits der anderen Polizeibehörden angesiedelt. "Das BAK hat Erfahrung damit, wenn gegen Beamtinnen und Beamte ermittelt wird", erklärte Zadic die Entscheidung, die EBS dort anzureihen. Takacs versuchte zu betonen, wie gering das Problem von Polizeigewalt in Österreich überhaupt sei. Man habe "vom Neusiedlersee bis zum Bodensee" rund 30.000 Polizisten im Einsatz, 2022 wurden 23.200 Zwangsmittel angewandt. Dem gegenüber würden lediglich 300 Fälle stehen, die man näher untersuchen musste. Das sei "kein großer Anteil, aber jeder einzelne Fall, der nicht korrekt umgesetzt wurde, ist einer zu viel". Es sei eine Stelle gewesen, die viele Polizeibeamte gerne schon länger haben würden, soll Bürstmayr in Gesprächen mit Beamten erfahren haben. Das liegt wohl an derzeit lang dauernden Ermittlungen, die zu Gehaltseinbußen und Rückschlägen bei Fortbildungen führen. Von der EBS erhofft sich die Regierung nun auch schnellere Ermittlungen. Bei der Präsentation waren alle bemüht, die neue Beschwerdestelle als gute Sache für die Polizei darzustellen.
Das Konzept der Ermittlungs- und Beschwerdestelle (EBS) sei europaweit einzigartig, vor allem, weil die Beamten auf ein interdisziplinäres Team aus Psychologen, Sozialarbeitern, Juristen und Soziologen zurückgreifen sollen. Stocker sieht darin eine "neue Qualitätsebene", da die "interdisziplinäre Zusammensetzung" ein Novum darstelle. Durch andere Berufsgruppen soll der Blick auf mögliche Vorfälle erweitert, andere Sichtweisen berücksichtigt werden. Wichtig war Bürstmayr und Stocker zu betonen, dass nur Polizisten ermitteln werden, die multiprofessionellen Teams in die Ermittlungen allerdings einbezogen werden sollen.
Amnesty übt Kritik wegen fehlender Unabhängigkeit
Wie sich das Konzept in die Realität übertragen lässt, liegt allerdings beim Leiter der EBS. Die Funktion soll ein stellvertretender Direktor des BAK übernehmen, der auf zehn Jahre bestellt werden wird. Damit soll seine Unabhängigkeit gestärkt werden, weil er sich seltener um seine Wiederbestellung Sorgen machen muss. So die Theorie. In der Praxis hat der ÖVP-U-Ausschuss Fragen zur parteipolitischen Besetzung des BAK aufgeworfen, die bis heute nicht ausgeräumt worden sind.
Die Arbeit der neuen Beschwerdestelle wird ein eigener Beirat überprüfen, der von Ministerien, dem Verfassungsgerichtshof und privaten Einrichtungen wie der Ärztekammer, der Rechtsanwaltskammer und Menschenrechtsorganisationen beschickt wird. Die türkis-grüne Koalition geht derzeit von Kosten um die 4,5 Millionen Euro aus, die Personalanzahl soll im mittleren zweistelligen Bereich liegen. Wenn notwendig, könne aber auch noch aufgestockt werden.
Bürstmayr gab bei der Präsentation auch zu, dass man Abstriche bei der Unabhängigkeit gemacht habe, um eine Polizeibehörde zu bekommen, die mit staatlichem Imperium handeln kann. Es herrscht also weiterhin eine Weisungsgebundenheit. Weisungen müssen aber, so Bürstmayr, schriftlich erteilt werden.
Genau das ist auch die Kritik von Amnesty International: "Die geforderte Unabhängigkeit ist durch dieses Vorhaben nicht gegeben", kritisiert Annemarie Schlack, die Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich im Anschluss an die Präsentation. Die Behörde sei immer noch im Innenministerium angesiedelt, der Bestellprozess der Behördenleitung nicht transparent genug.
Hermann Greylinger, von der roten Personalvertretung FSG, zeigt sich unterdessen vorsichtig optimistisch. Von der interdisziplinären Gruppe erwartet er sich eine Qualitätsverbesserung, an schnellere Verfahren glaubt er jedoch nicht. Wichtig sei der Gewerkschaft vor allem der Umgang mit Beamten, bei denen sich ein Vorwurf als falsch erwiesen habe. Während Ermittlungen würden die nicht für Schulungen berücksichtigt werden und um pauschalisierte Sonderzahlungen umfallen. "Das sind Nachteile, die man nie wieder aufholen kann", sagt Greylinger zur "Wiener Zeitung".