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Er plagt uns täglich, meistens gleich mehrmals und sehr oft wegen Kleinigkeiten - der Ärger. Doch seine Funktion wird häufig unterschätzt: Richtig dosiert, kann Ärger sogar hilfreich sein.
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Heute schon geärgert? Über die Warteschleife bei der Service-Hotline des Internetproviders? Nein? Dann vielleicht über den Lärm des Nachbarn? Oder darüber, dass Sie wieder einmal ausgerechnet in der langsamsten Schlange vor der Supermarktkasse gelandet sind? Über die Friseurin, die Ihre Haare zu kurz geschnitten hat? Über den Megastau in der brütenden Mittagshitze, die nörgelnde Kollegin, den Regen im Urlaub, den umständlichen Verkäufer im Elektrofachmarkt oder den trödelnden Autofahrer vor Ihnen?
Genügend Anlässe. Quellen von Ärger gibt es wie Sand am Meer. Ärger daher leider auch. Nur die wenigsten von uns sind dagegen gewappnet. Wer auf dem Weg zu einem wichtigen Meeting in allerletzter Sekunde in die noch dampfende Hinterlassenschaft eines Vierbeiners tritt, wird wahrscheinlich nur schwer die Ruhe bewahren können. Selbst dann nicht, wenn er gerade ein dreitägiges Zen-Seminar über die Kunst der Gelassenheit absolviert hat. Leider eignet sich die Ärgerquelle in diesem Fall auch nicht zum direkten Aggressionsabbau: Es wäre wenig hilfreich, ihr einen Fußtritt zu verpassen oder sie in die nächste Ecke zu schleudern. Bis zum anstehenden Meeting bleibt aber nicht mehr viel Zeit, um sich erstens die Schuhe geruchsfrei zu putzen und zweitens den Erregungszustand herunterzufahren. Was also tun?
Prinzipiell gilt: weniger ärgern. Denn chronischer Ärger ist ziemlich ungesund. Wenn wir uns ärgern, werden Stresshormone ausgeschüttet, die uns kampfbereit machen sollen: Der Blutdruck steigt, wir atmen flacher, unser Herzschlag beschleunigt sich. Der Ärger macht sich in Form von Muskelverspannungen, verkniffenem Gesichtsausdruck, geballten Fäusten und vor allem inneren Wutgefühlen bemerkbar.
Die Schübe von Adrenalin und Noradrenalin, die bei Ärger freigesetzt werden, steigern die Zucker- und Blutfettwerte im Organismus so sehr, dass sie auf Dauer Herz und Gefäße schädigen und das Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden, signifikant erhöhen. Eine amerikanische Studie an mehr als 13.000 Männern und Frauen im Alter zwischen 48 und 67 Jahren beweist das: Hitzköpfe tragen ein beinahe dreifach höheres Herzinfarkt-Risiko als ruhigere Zeitgenossen.
Massiver Hinweis. Ist es also besser, Ärger zu schlucken als auszuleben? Auch nicht, sagen Psychologen. Was tun also? Ärger gehört zur emotionalen Grundausstattung des Menschen - er hat eine ganz wesentliche Funktion: Ärger weist auf einen Konflikt hin oder auf eine Bedrohung und sollte deshalb ernst genommen werden, wissen Emotionsforscher. Und die erfolgreiche Schweizer Autorin und Psychoanalytikerin Verena Kast schreibt über die Funktion des Ärgers: "Wer Ärger zulässt, glaubt daran, dass man das Leben noch verändern kann. Wer den Ärger nicht mehr zulässt, glaubt nicht mehr daran." Mithilfe von Wut und Ärger können wir also Verhältnisse ändern, die wir als unerträglich empfinden. Ein Tritt gegen den Kaffeeautomaten, fliegende Vasen oder Schimpftiraden werden dabei allerdings kaum zum Erfolg führen.
Positiv nützen. Anger control lautet die Lösung. Ärgerkontrolle nennen Fachleute die Gratwanderung zwischen den Abgründen des Hinunterschluckens ("anger-in") und Aus-der-Haut-Fahrens ("anger-out"). Wer seinen Ärger positiv nützen möchte, sollte mit einer Selbstanalyse beginnen. Es lohnt sich also, nach erfolgtem Wutausbruch einen Schritt zur Seite zu machen und einmal genauer hinzusehen, was uns da eben zur Weißglut gebracht hat. Psychologen empfehlen gar das Führen eines sogenannten Ärger-Logbuchs zur Selbstbeobachtung in kritischen Situationen. Es genügt, sich eine Woche lang jeden Abend einige Minuten Zeit zu nehmen, um den Tag Revue passieren zu lassen und im Logbuch einige Fragen zu beantworten.
Was war der Wuthit des Tages, was hat mich heute am meisten geärgert? (Das Hundstrümmerl!) Wie stark war dabei mein Ärgergefühl auf einer Skala von 1 für "kaum" bis 7 für "sehr stark"? (Eindeutig 7!) Was habe ich getan? (Ich habe geflucht.) Wie habe ich mich gefühlt? (Wütend, ohnmächtig.) Was habe ich dabei gedacht? (Verdammte Hundebesitzer!) Wie hat mein Körper reagiert? (Ich habe geschwitzt.) Wie sehr hat mich das Ereignis beschäftigt? (Noch mehrere Stunden lang.) Wie hätte ich in der Situation am liebsten gehandelt? (Einen Hundebesitzer gewürgt.)
Eine Liste der täglichen Ärgernisse verschafft einen guten Überblick über das persönlich Ärgerpotential. Wie oft, wie sehr und worüber ärgere ich mich täglich? Das Logbuch macht überdies deutlich: Ärger kommt immer dann auf, wenn etwas im Leben nicht so abläuft, wie wir es uns vorstellen, weil allgemein gültige Regeln gebrochen wurden. Wenn also zum Beispiel der Hundebesitzer die Hinterlassenschaften seines Vierbeiners nicht entsorgt. Wenn sich jemand in der Schlange vor der Supermarktkasse nach vorne drängelt. Wenn der Partner die Küche im Chaos hinterlässt.
Die Ärgeranalyse macht aber auch deutlich, dass die meisten Anlässe es nicht wirklich wert waren, sich über sie aufzuregen. Meistens hat es sich nicht gelohnt, sich zu ärgern, weil damit allein die Ärgerquelle nicht beseitigt werden konnte.
Nicht schlucken. Verena Kast appelliert an uns, unseren Ärger dennoch nicht zu schlucken: "Wenn Ärger und Aggression gehemmt werden, nehmen wir uns ein Stück Lebendigkeit weg." Nörgeln sei keine Lösung, sagt die Psychoanalytikerin. Denn damit werde der Ärger nur unterdrückt. "Nörgeln ist destruktiv und blockiert uns. Wenn wir den Ärger nicht zulassen, können wir nichts verändern." Deshalb sei es wichtig, mit dem Ärger konstruktiv umzugehen. Der deutsche Sozialmediziner und Autor Thomas Hülshoff ist überzeugt, dass wir es zum größten Teil selbst in der Hand haben, ob wir uns ärgern lassen oder nicht. Hülshoff plädiert für einen offenen Umgang mit den eigenen Emotionen. Anstatt sich an der Supermarktkasse über Vordrängler zu ärgern, sollte man seinen Unmut ruhig aber bestimmt zum Ausdruck bringen. Wer seinem Gegenüber auch Versöhnungsbereitschaft signalisiert, hat gute Chancen, den Konflikt vernünftig auszutragen und für alle zu einem guten Ende zu bringen. Vermutlich verpufft dann auch der Ärger, er hat ja schließlich seine Schuldigkeit getan.
besser ärgern in sechs schritten
1. Nicht immer ärgern wir uns gleich. Was uns an einem Tag kalt lässt, treibt uns an einem anderen zur Weißglut. Deshalb: Fragen Sie sich, ob nicht vielleicht auch der Ort oder der Zeitpunkt eines Geschehens Ihren Ärger verursacht haben und nicht so sehr das Geschehen selbst. Oder lag es gar an Ihrer momentanen körperlichen Verfassung?
2. Oft entsteht Ärger erst dadurch, dass wir bestimmte Situationen mit negativen Gedanken verbinden. An der Supermarkt-Kassa zum Beispiel, wenn uns automatisch der Gedanke einschießt: Die anderen stellen sich immer in der schnelleren Schlange an! Überprüfen Sie den Wahrheitsgehalt solcher Gedanken!
3. Auch die Vermischung von Kommunikationsebenen führt vielfach zu vermeidbarem Ärger. Ein Beispiel: Sie kritisieren einen Arbeitskollegen, weil Sie mit seinem neuen Projekt nicht einverstanden sind und wollen die Sachebene ansprechen. Er reagiert aber auf der Beziehungsebene und fühlt sich persönlich angegriffen. Schon ist Ärger programmiert. Versuchen Sie daher, so gut es geht, eine Vermischung der Ebenen zu vermeiden - egal ob als Kritisierender oder Kritisierter.
4. Bei aller Aufmerksamkeit - manchmal ist Ärger aber einfach unvermeidbar. Und auch wichtig: als Zeichen dafür, dass ein echtes Problem vorliegt, das gelöst werden sollte. Doch bevor Sie an die Lösung gehen, definieren Sie für sich möglichst genau, was Sie so sehr verärgert hat.
5. Wenn Sie Ärger im Umgang mit anderen Menschen lösen wollen, sprechen Sie ihre Gefühle mit Ich-Botschaften an. Die kommen nämlich viel besser an als Vorhaltungen in der Art von: Du kümmerst dich ja nie um etwas!
6. Wenn es Ihnen Schwierigkeiten bereitet, in ärgerlichen Situationen kühlen Kopf zu bewahren, hilft ein altes Hausmittel immer noch am besten: Bis zehn zählen und erst dann loslegen.