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Mensch Heinz, ick hab keene Penunsen!

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Auf gut Österreichisch bedeutet die Überschrift: "Heinerle, Heinerle, hob ka Geld!" Auch Weihnachtsmärkte können soziale Zustände spiegeln. Wie ein Rundgang durch Berlin zeigt.


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Es weihnachtet sehr in Berlin, oder besser: Es "weihnachtsmarktet"! Finanzkrise? Wat issn dit? Selbst die Stadtverwaltung zählt nur die "wichtigsten und schönsten Weihnachtsmärkte" auf und kommt allein dabei schon auf die stolze Zahl von 30. Da ist alles vertreten, von karitativ bis kommerziell, von mondän bis rustikal, von nostalgisch bis alternativ und von stylish bis ökologisch.

Einer der schönsten Plätze Europas, der Gendarmenmarkt, verwandelt sich im Dezember in ein Zeltdorf, in dem man den teuersten Ramsch der Stadt erstehen kann. Volkstümlicher geht es vor der Gedächtniskirche zu, dafür sind die Stände dort genormt. Das Barockschloss Charlottenburg bildet eine romantische Kulisse, ebenso wie das Opernpalais oder die Spandauer Zitadelle. Bäuerliche Atmosphäre gibt es auf der Domäne Dahlem.

"Spektakuläre Erlebnisangebote" verheißt der "Wintertraum" zwischen Spree-Brücke und Alexanderplatz, mit "atemberaubenden Höhenfahrgeschäften in weihnachtlicher Atmosphäre". So vermitteln ein Riesenrad mit 60,5 Metern und ein Kettenkarussell in der Höhe von 55 Metern gleichsam ein "Santa-Claus-Feeling". Ab und an lässt ein Hochseil-Team einen Rentierschlitten auf einem 250 Meter langen Seil über die Straßen schweben. In Spandau knarzt ein Clown im Handumdrehen kleine Hundchen aus länglichen Luftballons. Ob die Hunderln am Ende eine rote Zipfelhaube mit Bommel obendrauf kriegen, entzieht sich meiner Kenntnis. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die Christkindlmärkte umgekehrt proportional zur spirituellen Bedeutung des Christkindes entwickeln - quantitativ wie qualitativ.

Selbst der DDR gelang es lediglich, die Weihe-Nacht zu verdrängen, nicht aber Weihnachten - trotz der absurden Versuche, den verhassten christlichen Begriff durch das säkulare "Jahresende" zu ersetzen, was dann zur "geflügelten Jahresendfigur" (für Weihnachtsengel) führte.

Keine Panik! Besucher eines Weihnachtsmarktes in Berlin-Mitte können sich aus einem Automaten für 50 Cent ein Gebet anhören. Das Angebot des "Gebet-o-maten" ist multireligiös und reicht von "katholisch" bis "Vodoo".

Kürzlich begleitete ein TV-Sender einerseits zwei Models auf ihrem Bummel über den Gendarmenmarkt sowie andererseits eine Hartz-IV-Familie mit drei blassen Schulkindern, die an ein paar Weihnachtsständen in der Peripherie vorbeischlenderte. Am Ende hatten die langbeinigen Schönheiten unsinnigen Schnickschnack eingetütet, an den Shrimps herumgenörgelt und mehr als 300 Euro verschleudert. Die Familie hatte ein gebrauchtes, aber intaktes Fahrrad für den Jungen um neun Euro erstanden, "damit er schneller zur Schule kommt", herzhaft Hot-Dogs mit Ketchup gemampft und nicht mehr als die dafür extra gesparten 25 Euro ausgegeben.

Der übliche "Arm-aber-glücklich"-Kitsch? Die Szenen waren echt, nicht arrangiert. Und jeder kann sich selbst davon überzeugen, dass - sollte es sich um Klischees handeln - solche "Klischees" die Regel und nicht die Ausnahme bilden. Wie schrieb Wolfgang Ullrich in der "taz": "Auf den Weihnachtsmärkten begegnet uns dieselbe Überfülle und Reizüberflutung wie in Kaufhäusern; vieles Angebotene ist außerdem zynisch nutzlos und lediglich dazu da, irgendwie Geld einzubringen. (...) Erst recht deprimierend sind all die Märkte daher für die Ärmeren, die vor Weihnachten noch stärker als sonst erfahren müssen, dass es alles nur gegen Geld gibt." - Haste eben Pech, Heinerle!

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