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Menschen mit "Migrationsvordergrund"

Von Peter Stiegnitz

Gastkommentare

Die große Diskussion der Migration in Europa bewegt sich von Links (Öffnungspolitik) Richtung Mitte (wirtschaftliche Selektion) nach Rechts (Ablehnung). Berechtigte, aber auch neurotische, von der rechtsradikalen Szene missbrauchte Ängste liefern die oft atonalen Töne dieser Diskussion. Der inflationistisch gebrauchte Begriff "Integration" verkommt zu einem leeren Schlagwort.


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Dabei würde es genügen, dem (alt-)österreichischen Beispiel gelungener Integrationen ("Einbindung in das Ganze") zu folgen. Aus den böhmischen Ziegeleiarbeitern des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wurden genauso "gute Österreicher" (hauptsächlich Wiener) wie aus den politischen Flüchtlingen von 1945 bis 1982. Allerdings: Die große Mehrheit dieser voll integrierten Migranten waren keine Muslime, sondern Juden oder Christen aus der abendländischen Kultur.

In der Migrationssoziologie unterscheiden wir drei stufenweise Formen der "Eingliederung":

* Die Multikultur, die nur in Kunst und Kulinaria funktioniert, erlaubt, einer "Basargesellschaft" gleich, nur das unabhängige Nebeneinander verschiedener Ethnien;

* die Interkultur sorgt für eine lose Beziehung der in Frage kommenden Gruppen auf zeitlich begrenzten gelegentlichen Gesprächsebenen und funktioniert wie internationale Organisationen;

* die Intrakultur sorgt für eine optimale Integration; auf Grund der Doppel-Loyalität (Anpassung nach Außen und Beibehaltung der mitgebrachten Kultur nach Innen) kann jeder Migrant vollrechtliches Mitglied der für ihn "neuen" Gesellschaft werden.

Eine verantwortungsvolle Migrationspolitik begnügt sich mit der gesellschaftlichen Chancenermöglichung. Wie erfolgreich jedoch diese Chancen wahrgenommen werden, das hängt primär von den Migranten ab, die das notwendige "Rüstzeug" für die Ergreifung dieser Chancen selber schaffen müssen; genauso wie es die Migranten, meist aus den ehemaligen "Kronländern", einst getan haben. Daher sollte vor jedweder Förderung seitens der Politik, der Wirtschaft, die Forderung an die Migranten, wie Sprachkenntnisse, optimale Anpassung und Ähnliches mehr stehen.

Die Problematik, um nur ein Beispiel zu erwähnen, der relativ hohen Jugendarbeitslosigkeit, deren Verursacher gutteils Schul- und Ausbildungsabbrecher beziehungsweise unvorbereitete und vor allem familiär demotivierte Jugendliche der zweiten und immer öfter auch dritten Gastarbeitergeneration sind, zeigt auch die Folgen der Unangepasstheit seitens der Migranten aus unteren Schichten. Hingegen sind die Kinder der sogenannten A-Schicht-Migranten - auch aus dem arabisch-islamischen Raum - bereits vollintegrierte Mitglieder der Gesellschaft. Dass jedoch Kinder auch aus Arbeiterfamilien ihren Platz in der neuen Umgebung gefunden haben, zeigt das bereits erwähnte historische Beispiel Altösterreichs.

Peter Stiegnitz ist Migrationssoziologe, Autor und emeritierter Professor der Universität Budapest.