Experten fordern ein einheitliches Unternehmensstrafrecht. Dadurch will man Unternehmen zu verantwortungsvollem Handeln bewegen.
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Wien. Es gibt sie immer wieder: Berichte über unmenschliche Arbeitsbedingungen. Darin geht es um einstürzende Textilfabriken in Bangladesch, Wanderarbeiter, die sich auf den Baustellen der Fußballweltmeisterschaft in Katar zu Tode schinden, oder Kinderarbeit in Bolivien. Die Unternehmen, die diese Verbrechen begehen, kommen jedoch meist ungeschoren davon - selbst wenn es sich um europäische handelt. So können Bestechungszahlungen westlicher Unternehmen in Afrika fast immer ohne rechtliche Konsequenzen erfolgen. Banken, die korrupten Beamten und Diktatoren helfen, ihr Vermögen zu verstecken, haben selten etwas zu befürchten. Denn ein starkes Unternehmensstrafrecht ist weltweit nur in sehr wenigen Nationen etabliert.
Experten wollen das ändern und die EU dazu bewegen, ein einheitliches europäisches Unternehmensstrafrecht zu etablieren. "Eine globale Wirtschaft braucht nicht nur einen globalen Ordnungsrahmen, sondern auch ein globales Rechtsregime zur Durchsetzung des Ordnungsrahmens", sagt Michael Kubiciel, Strafrechtsprofessor an der Universität Köln im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Dies sei von großer wirtschaftlicher und rechtlicher Bedeutung. Denn die "Kleinstaaterei" mit ganz unterschiedlichen und unterschiedlich harten Regeln, wie sie derzeit in Europa betrieben werde, führe zu einer Wettbewerbsungleichheit der Rechtsordnungen.
"Wenn Europa nicht mit einer Stimme spricht, dann wird es mit den amerikanischen Regeln, die bisher dominieren, nicht mithalten können", meint Kubiciel. Er plädiert für angemessene Strafen, die verhaltenslenkend wirken. Sie könnten zu einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen im globalen Süden führen.
Zerklüftete Gesetzeslage
Auch Petra Velten, Strafrechtsprofessorin an der Johannes Kepler Universität in Linz, spricht sich für ein europaweites Unternehmensstrafrecht aus. "Man muss aber in verschiedenen Schritten denken. Zuerst sollten wir nationale Gesetze etablieren, um dann konzertierte Aktionen auf EU-Ebene zustande zu bekommen, weil es dann zur normalen Ausrüstung des Strafrechts gehört", sagt sie. Durch eine Internationalisierung könnte auch die Ungleichbehandlung von Unternehmen verhindert werden.
Zurzeit differieren die europaweiten Regelungen, was das Unternehmensstrafrecht betrifft, stark. In Österreich gibt es seit zehn Jahren das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz, das Unternehmen, die Straftaten wie Umweltverschmutzung, Untreue oder fahrlässige Körperverletzung begehen, zur Verantwortung zieht. Vielen erscheint das Gesetz aber als zu zahnlos. Zum einen wegen der Strafhöhe, die mit maximal 1,8 Millionen Euro sehr niedrig angesetzt ist und für große Unternehmen wohl kaum eine abschreckende Wirkung entfaltet. Zum anderen kritisieren Experten das Opportunitätsprinzip: So kann die Staatsanwaltschaft im Fall von Rechtsverletzungen zwar eingreifen, verpflichtet ist sie dazu aber nicht. "Es gibt keinerlei Möglichkeiten zu erzwingen, dass eine Verfolgung stattfindet. Aus diesem Grund gibt es in der Praxis auch nur sehr wenige Fälle", sagt Velten. Seit Bestehen des Gesetzes seien es etwa um die 40.
Schwierigkeiten bereite zudem die Abgrenzung zwischen Inlands- und Auslandstaten. "Wenn eine natürliche Person eine Tat im Ausland begeht und der Erfolg dort eintritt, handelt es sich um eine Auslandstat. Wenn aber ein Unternehmen Mitglieder ins Ausland schickt und diese dort zu einer Straftat veranlasst oder davon weiß, sie aber nicht verhindert, ist die Tat der Gesellschaft im Inland zu zurechnen", sagt Velten. Über das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz könnten Straftaten, die im Ausland passieren, viel stärker als Inlandstaten angesehen werden als bei natürlichen Personen.
In der Praxis geschieht das jedoch nicht. Zum einen, weil das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz, das 2006 aufgrund des Drucks der Wirtschaft ohnehin nur sehr schwer zustande gekommen ist, keine ausdrückliche Unterscheidung zwischen Inlands- und Auslandstaten regelt. Zum anderen würde eine intensive Verfolgung von Unternehmensdelikten eine große Zahl von gut ausgebildeten Wirtschaftsstaatsanwälten erfordern. Während auch in den meisten anderen europäischen Ländern eine Verbandsverantwortlichkeit existiert, bemüht man sich in Deutschland erst seit einigen Jahren darum, ein Unternehmensstrafrecht einzuführen.
Nachzügler Deutschland
Bisher sind die Bemühungen jedoch im Sand verlaufen, was wohl auch an der unternehmerfreundlichen CDU liegt. Die Sanktionierung von Unternehmen erfolgt im deutschen Recht derzeit hauptsächlich über das Ordnungswidrigkeitenrecht, durch das Geldbußen von bis zu zehn Millionen Euro verhängt werden können.
Eine international führende Rolle nehmen die USA ein. Dort existiert seit Beginn des vorigen Jahrhunderts ein sehr detailliert geregeltes kodifiziertes Unternehmensstrafrecht, das auch Durchführungsrichtlinien für die Staatsanwaltschaft umfasst. Zu Beginn wurden die Bestimmungen nur auf die Eisenbahngesellschaften angewandt, in den 70er Jahren wurde das Strafanwendungsrecht schließlich auf ganz Amerika ausgedehnt. "Die Amerikaner wollten nicht nur die eigenen Unternehmen hart bestrafen - das hätte zu einem Wettbewerbsnachteil geführt. Sie wollten auch die außeramerikanischen Unternehmen zur Verantwortung ziehen", erklärt Kubiciel. Europa mache hingegen genau das Gegenteil. So hat etwa VW in den USA mit Klagen in Milliardenhöhe zu rechnen, während ein amerikanisches Unternehmen wie Tesla in Deutschland bei Verstößen ungeschoren davonkommen könnte.
An eine kurzfristige oder mittelfristige Realisierungschance des Unternehmensstrafrechts auf Europaebene glaubt Kubiciel nicht. Aber man müsse die Diskussion beginnen. Denn zurzeit würden Menschen viel härter bestraft als Unternehmen.