Wie man in Bristol mit der Demontage eines Denkmals umging, erklärt der Chef der dortigen Historikerkommission.
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Was Karl Lueger für Wien in Sachen Denkmal ist, ist Edward Colston für Bristol. Seit Jahren sorgt die Erinnerung an ihn in Großbritannien für Aufregung. Colston war einerseits ein Wohltäter, der Schulen, Kranken- und Armenhäuser aus der eigenen Brieftasche errichten ließ. Andererseits war diese vornehmlich durch Sklavenhandel gefüllt. Im Juni 2020 montierten Demonstranten im Zuge von "Black Lives Matter"-Protesten seine Statue in Bristol ab, beschmierten sie mit Graffiti und versenkten sie anschließend kurzerhand im Fluss Avon. Die Statue wurde geborgen, doch die Frage, was danach geschehen sollte, musste gelöst werden. Die "Wiener Zeitung" hat mit Tim Cole gesprochen, dem Direktor jener Historikerkommission, die eine Empfehlung für das weitere Vorgehen abgeben sollte.
"Wiener Zeitung":Wie haben Sie entschieden, was mit der Colston-Statue geschehen soll?Tim Cole: Wir haben das Volk entscheiden lassen. 40.000 haben sich beteiligt und sowohl online als auch per Post ihre Meinung mitgeteilt. Wir hatten grundsätzlich drei Optionen vorgegeben: die Statue vollständig aus der Öffentlichkeit zu entfernen, sie wieder aufzustellen oder sie in ein Museum zu stellen.
Was ist es geworden?
Sie soll ins Museum, und zwar so, wie sie ist und mit Erklärung des Kontextes - also der Geschichte Colstons, der Geschichte der Sklaverei und auch Erklärungen zu neuen Bewegungen. Der Vorschlag wurde auch schon angenommen; der Stadtrat ist gerade mit der technisch-legistischen Umsetzung zugange.
Die Statue wird also kaputt und beschmiert ausgestellt?
Die meisten - vier von fünf - wollten, dass sie in ihrem verunstaltetem Zustand gezeigt wird. Denn in diesem Zustand sei sie ebenso ein Geschichtszeugnis wie in ihrem Originalzustand. Überhaupt: 80 Prozent fanden, dass der beste Ort für die Statue das Museum ist. Lediglich ein kleiner Teil wollte sie wieder aufstellen und ein ähnlich kleiner Teil wollte sie komplett zerstören.
Wenn wir uns das Leben von Colston ansehen: Wie inakzeptabel war Sklaverei zu seiner Zeit?
Grundsätzlich stimme ich zu, wenn Leute sagen, dass man etwas Vergangenes nicht nach heutigen Maßstäben beurteilen kann. Als Historiker versucht man natürlich auch immer, das Geschehene aus dem damaligen Blickwinkel zu verstehen. Allerdings war Sklaverei damals schon etwas, das umstritten war. Das ist jetzt keine Bewegung, die erst in neuerer Zeit aufgekommen ist. Die Kritik an der Sklaverei war stets Teil der Erzählung.
Wenn man aber nun hergeht und Colston wegen Sklaverei demontiert, müsste dann nicht konsequenterweise auch in London die Nelson-Säule abmontiert werden oder Kleopatras Nadel? Beide haben ja die Sklaverei unterstützt.
Das ist tatsächlich die größere Diskussion, die stattfinden müsste: Es gibt derzeit keinerlei demokratischen Prozess, was das anbelangt. Das hat sich auch bei der Umfrage in Bristol gezeigt. Viele Menschen haben sich kritisch zu der Art geäußert, in der die Statue niedergerissen wurde - denn das geschah ja undemokratisch. Ebenso kritisch waren sie aber auch bei der Frage, wer im öffentlichen Raum dargestellt wird. Denn auch das geschieht nicht auf demokratische Weise.
Gibt es da Lösungsansätze?
Einige Menschen haben gefordert, dass Statuen überhaupt nur eine hundertjährige Bestandsgarantie haben sollten. Man sollte routinemäßig Wandel erwarten, wenn es um die Frage geht, was oder wer im öffentlichen Raum dargestellt werden soll. Immerhin wandelt sich ja auch die Gesellschaft ständig. Genau diese Überlegungen haben aber keinen Eingang in den politischen Diskurs gefunden. Das betrifft auch Straßennamen: Reflektieren die noch das, was wir sind?
Wofür brauchen wir überhaupt Statuen?
Eine überraschende Erkenntnis aus Bristol ist, dass nur die allerwenigsten wollten, dass die Statue zerstört wird. Die Menschen fanden, dass die Statue einen geschichtlichen Wert hat, und sie wollten auch, dass diese Geschichte erzählt wird. Ebenso wollten auch die meisten, dass der Sockel bleiben sollte, auf dem die Statue bisher stand. Der sollte noch für alle Art Denkmäler erhalten bleiben. Viele haben allerdings gemeint, dass es nicht möglich ist, eine Statue zu finden, die Bristol jetzt oder in der Zukunft repräsentieren könnte.
Wie kann man in Zukunft an die Sache herangehen?
Die Menschen wünschen sich eine "Statue plus". Ein Denkmal sollte keine stille, menschliche Figur mehr sein. Es sollte zum Erinnern einladen und eher zu einem Dialog anregen, denn ein Monolog zu sein.
Wie kann das aussehen?
Der Trend geht hier offenbar eher in Richtung von digitalen Objekten. Das unterstützt auch die Vorstellung einer eher kurzfristigeren Zurschaustellung. Es wäre dann ein Ort, an dem Ideen flexibler dargestellt werden können. Wir sollten jedenfalls die Vorstellung begrüßen, dass eine Statue nicht etwas ist, das auf immer und ewig gebraucht wird.