Im Rahmen des gestrigen Verfassungstages in der Wiener Hofburg anlässlich der 80-Jahr-Feiern der österreichischen Bundesverfassung nahmen unter dem Vorsitz von VfGH-Präsident Ludwig Adamovich Höchstrichter und Rechtsexperten aus verschiedenen EU-Ländern und EU-Nachbarstaaten den Grundrechtskatalog kritisch unter die Lupe.
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Als Hauptproblem nannten die Experten künftige Zweigleisigkeiten mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in der Rechtsprechung. Sollte die Charta verbindlich werden, entstünde eine "schwierig zu beherrschende Rechtssituation":
Zwei Höchstgerichte, der Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg und der Europäische Gerichtshof in Luxemburg, hätten über die Einhaltung der Grundrechte zu wachen, die in EMRK, Grundrechtscharta und innerstaatlichem Verfassungsrecht überall unterschiedlich formuliert seien.
Charta als Grundlage für europäische Verfassung?
Die direkte Folge wären nach der Prognose der Experten - unterschiedliche Urteile, die sich nicht mehr vereinheitlichen ließen. Senator Robert Badinter angesichts eines solchen Szenarios: "Ich will mir die Situation an den Unis mit überforderten Professoren und armen Studenten gar nicht vorstellen."
Andererseits könne die Grundrechtscharta nach Ansicht der Experten die Grundlage für eine zukünftige europäische Verfassung bilden, ihr Wert liege insbesondere in einer politischen Willensbekundung der EU-Staaten.
Großer symbolischer Wert für Mitgliedstaaten
Für die Präsidentin des deutschen Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, habe sie einen "großen symbolischen Wert für die gegenwärtigen und zukünftigen Mitgliedsstaaten der EU". Die Aufgabe sei es, die Macht der Organe der EU zu beschränken und zu kontrollieren.
Gleichzeitig mache die EU damit klar, dass ihr der Schutz der Bürger ein wichtiges Anliegen sei. Cesare Mirabelli, Höchstrichter aus Italien, zustimmend: "Der Inhalt der Grundrechte-Charta verdient eine positive Würdigung."
Der Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Luzius Wildhaber warnte indes vor der Gefahr, dass osteuropäische Staaten "erneut, in die Kategorie Staaten zweiter Klasse fallen", weil sie ihren Bürgern soziale und wirtschaftliche Grundrechte nicht garantieren könnten. Ins selbe Horn stießen auch die anwesenden Verfassungsrichter aus Polen, der Slowakei und Ungarn.
Das ehemalige österreichische Mitglied des Europäischen Gerichtshofs, Franz Matscher, kritisierte außerdem das Fehlen von Bestimmungen zum Minderheitenschutz: "Es fehlt nicht an Lippenbekenntnissen, aber nur wenige Staaten sind bereit, einen Minderheitenschutz auch wirklich umzusetzen."
Khol hält EU-Grundrechtsentwurf für tauglich
ÖVP-Klubobmann Andreas Khol sprach sich gestern für eine "Rechtsverbindlichkeit der Europäischen Grundrechtscharta" aus. Bezogen auf das 80-Jahr-Jubiläum der österreichischen Bundesverfassung erklärte Khol, dass diese sich bewährt habe. Nun brauche Europa eine Verfassung, die ebenso gut funktioniere. Khol hält den Entwurf für die Grundrechtscharta vom Europäische Verfassungskonvent für "tauglich".
Dieser würde "europafeindliche Vorgänge" wie die gegen Österreich verhängten Sanktionen in Zukunft verhindern.
Anwälte begegnen Charta mit gemischten Gefühlen
Während Rechtsanwaltskammertags-Präsident Klaus Hoffmann beim Anwaltstag 2000 das Fehlen eines "Grundrechts auf anwaltliche Vertretung" in der EU-Charta als "Schande für uns alle" scharf kritisiert hatte, gibt es für den Innsbrucker Rechtsanwalt Ivo Greiter allen Grund zur Freude:
Mit der Verankerung des Generationenschutzes im EU-Grundrechtekatalog hat die Innsbrucker Initiative rund um Greiter nach dreijährigen Bemühungen einen wichtigen Etappensieg errungen. Schließlich galt es für die Tiroler, Manipulationen am menschlichen Erbgut nachhaltig zu verhindern.
Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen
Maßgeblich unterstützt wurde man in der Sache von der deutschen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin. Greiter äußerte sich im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" hochzufrieden: "Das ist das erste Mal, dass in einen Grundrechtskatalog eine dritte Dimension hinzukommt," erstmalig würden auch künftig-Geborene geschützt und die Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen wahrgenommen.