Moon Jae-in brachte die USA und Nordkorea an einen Tisch. Über die Menschenrechtslage wird nicht gesprochen.
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Seoul. Als Anfang des Jahres bekannt wurde, dass Nordkoreas amtierender Botschafter in Rom untergetaucht ist, schwieg die südkoreanische Regierung. Ausgerechnet eine Allianz aus nordkoreanischen Dissidenten rief Präsident Moon Jae-in dazu auf, für den Überläufer einzustehen. "Südkorea sollte dringend demonstrieren, dass es Nordkoreaner willkommen heißt", sagt Thae Yong-ho, der im Sommer 2016 selbst als nordkoreanischer Vize-Botschafter in London Pjöngjang den Rücken zuwandte, "aber in der jetzigen Situation scheint das nicht der Fall." Die Stimmung unter nordkoreanischen Flüchtlingen sei gedrückt, sagt Thae: Immer mehr fühlen sich in ihrem Aktivismus gegen das Regime in Pjöngjang alleingelassen - als unerwünschte Störenfriede des Friedenskurses.
Moon hat mit seinem innerkoreanischen Annäherungskurs ein diplomatisches Meisterstück vollbracht: Nicht nur hat in seiner Vermittlerrolle Pjöngjang und Washington an den Verhandlungstisch gebracht - wovon das am Mittwoch in Hanoi beginnende Gipfeltreffen zwischen Nordkoreas Staatschef Kim Jong-un und US-Präsident Donald Trump zeugt. Darüber hinaus hat Moon auch den militärischen Konflikt massiv entschärft. In seinem aktuellen Weißbuch hat das südkoreanische Verteidigungsministerium erstmals die Bezeichnung "Feind" für den nördlichen Nachbarn gestrichen.
Gleichzeitig jedoch muss sich Moon den Vorwurf gefallen lassen, die Menschenrechtsfrage in Nordkorea komplett auszublenden. Der Vorwurf wiegt umso schwerer, als Moon früher als Menschenrechtsanwalt tätig war.
Als ihn im Oktober vergangenen Jahres die französische Zeitung "Le Figaro" darauf ansprach, sagte Moon vage: "Ich bin überzeugt, dass Austausch und verstärkte Kooperation zu einer echten Verbesserung für das nordkoreanische Volk führen werden." In der Öffentlichkeit meidet Moon das Thema, soweit er kann - aus Angst, dass es den noch fragilen Olivenzweig mit Nordkorea brechen könnte.
Der Präsident steht mit seiner Einschätzung nicht allein. "Beim Menschenrechtsdialog in Nordkorea gibt keinen Königsweg. Zuckerbrot und Peitsche hat man beides probiert", sagt Völkerrechtsexperte Boris Kondoch von der südkoreanischen Far East University: "Moon bemüht sich zunächst um friedliche Beziehungen mit Nordkorea - denn sollte ein Krieg ausbrechen, wäre das schlimmer als sämtliche Verbrechen, die in den politischen Lagern passieren."
Folter, sexuelle Gewalt, politische Straflager
Allerdings gibt es auch deutliche Kritik. Kenneth Roth, der Leiter von Human Rights Watch, zeigte sich bei seinem Besuch in Seoul im November enttäuscht von Moon. Der Präsident verweigerte sich dem direkten Gespräch mit der Menschenrechtsorganisation. Nach Ansicht von Roth lässt sich die Nuklear- und Menschenrechtsfrage nicht getrennt voneinander behandeln: "Kim Jong-un wäre ohne die Unterdrückung seines Volkes niemals in der Lage gewesen, die immensen Ressourcen in die Entwicklung seines Atomprogramms zu stecken."
Das Sündenregister Pjöngjangs in Sachen Menschenrechte ist lang. Als Referenz dient noch immer ein 300 Seiten langer UNO-Bericht aus dem Jahr 2014, der erstmals systematisch die Menschenrechtsverbrechen Nordkoreas untersuchte. Neben Folter und sexueller Gewalt waren es vor allem die Zustände in den politischen Straflagern, die den damaligen Leiter der Untersuchungskommission, Michael Kirby, zutiefst schockierten. Der pensionierte australische Richter verglich die Straflager medienwirksam mit den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten.
Viele der Anschuldigungen waren zwar schon früher bekannt. Doch der UNO-Bericht ging mit dem Kim-Regime hart ins Gericht und sprach von Verbrechen gegen die Menschlichkeit - ein Terminus, der sonst bei ethnischen Säuberungen oder Völkermorden verwendet wird. Pjöngjang bezeichnete den Bericht als pure Lüge. Doch wenig später bot das Regime an, dem UNO-Sonderberichterstatter Marzuki Darusman einen Besuch im Land zu ermöglichen, falls die UNO zwei Absätze einer Resolution streicht, die Nordkorea Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorwirft. Dazu kam es zwar nicht, doch dass das nordkoreanische Regime den Tauschhandel vorschlug, zeigt, dass internationaler Druck durchaus Wirkung entfaltet. Entgegen weitläufiger Meinung ist die Kim-Dynastie nämlich über ihr Image besorgt.
Jedes Abkommen ohne Menschenrechte fragil
Hier haken die Kritiker von Moons Schweigen ein. Wenn er die Menschenrechte ausklammere, verpasse der Präsident eine Chance, direkt auf Nordkoreas Machthaber einzuwirken, sagt Sokeel Park von Liberty in North Korea, einer Nichtregierungsorganisation, die junge Flüchtlinge aus Nordkorea bei ihrer Integration in Südkorea unterstützt.
Da internationale Beobachter keinen Zugang zu Nordkorea haben, ist kaum überprüfbar, ob sich die Menschenrechtslage in jüngerer Zeit substanziell verbessert hat. Der unabhängige Nordkorea-Forscher Martin Weiser macht allerdings positive Anzeichen aus: So wirkten sich die jüngsten Wirtschaftsreformen sowie der Druck auf die Unternehmen, profitabel zu arbeiten, in einigen Aspekten günstig auf die Menschenrechte aus. Zudem seien in den letzten Jahren die öffentlichen Exekutionen zurückgegangen und für kleinere politische Vergehen würden heute kürzere Haftstrafen verhängt.
"Solange die Menschenrechtslage nicht behandelt wird, bleibt jedes Abkommen mit Nordkorea fragil", erklärte kürzlich der UNO-Sonderberichterstatter für die Menschenrechtslage in Nordkorea, Tomas Ojea Quintana. Er argumentiert, dass Seoul bei wenig kontroversen Themen den Dialog suchen solle, etwa bei Löhnen und Rechten von Arbeitern. Dieses wäre insofern aktuell, als beide Seiten Interesse an einer Wiedereröffnung der gemeinsamen Sonderwirtschaftszone Kaesong zeigen. Falls Moon einen Menschenrechtsdialog starten will, hat er bald die Gelegenheit dazu. Ein weiterer Gipfel mit Kim Jong-un ist in Vorbereitung. Zuerst findet aber das Treffen von Trump und Kim in Hanoi statt.