Der Kruzifix-Streit beschäftigt auch Österreichs derzeit tagende Bischofskonferenz.
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Eigentlich haben mich religiöse Symbole nie sonderlich gestört. Als ich noch zur Schule ging, machten wir uns allenfalls einen Spaß daraus, das Kreuz verkehrt aufzuhängen. Das fanden wir ähnlich lustig, wie dem damaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim einen Vollbart zu malen.
Die Aufregung bei Kirche und Politik über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg, dass Kreuze in Italiens Schulklassen gegen das Recht auf Religionsfreiheit verstoßen, zeigt jedoch, dass konservative Christen da offensichtlich weniger Spaß verstehen als Ungläubige. Nicht nur hochrangige Vertreter der katholischen Kirche, sondern auch ÖVP, FPÖ und BZÖ scheinen in helle Aufregung versetzt; selbst die SPÖ wagt es nicht, das Urteil gegen diese Heilige Allianz zu verteidigen.
Erst vor kurzem herrschte unter genau diesen Parteien helle Aufregung über eine Studie Peter Ulrams, nach deren oberflächlicher Lektüre sich mehr als die Hälfte der türkischstämmigen Migranten ganz allgemein wünschen würde, dass das islamische Recht in Österreichs Justizsystem einfließen soll. Die Frage, auf der diese Einschätzung beruhte, lautete, ob ihnen die Gesetze des Islam wichtiger wären als jene des Staats. ÖVP, FPÖ und BZÖ beweisen allerdings mit der Aufregung über das Straßburger Urteil ein ganz ähnliches Weltbild. Nicht der Rechtsstaat, sondern was sie für religiös oder kulturell normativ halten, steht für sie offenbar an oberster Stelle der Rechtsordnung.
Ob nun die Scharia oder das kanonische Recht in eine Rechtsordnung einfließen sollen, kann Ungläubigen einerlei sein. Die Menschenrechte sollten jedoch als Minimalkonsens zwischen Gläubigen und Ungläubigen verschiedener Religionen verbindlich für alle gelten. Daher ist der Schutz der Menschenrechte durch den Straßburger Gerichtshof zentral. Die Wut auf dessen Urteil erinnert eher an finstere Zeiten der Kreuzzüge denn an die Aufklärung, deren Resultat die Menschenrechte letztlich sind.
Die Reaktionen zeigen, wo der "Clash of Civilizations" in Wahrheit verläuft: nicht zwischen den Religionen, sondern zwischen jenen, die einen säkularen Staat verteidigen, und jenen, die die Rückkehr der Religion in den Staat und die Gesetzgebung propagieren. Es ist also nicht verwunderlich, dass sich auch die offizielle - aber wenig repräsentative - Islamische Glaubensgemeinschaft sofort gegen die Entfernung der Kruzifixe aus den Klassen aussprach und vor "Auswüchsen eines kalten Laizismus, der in missionarischem Eifer Religion so sehr ins Private zu drängen sucht", warnte.
Zur Klarstellung: Das Urteil verbietet niemandem, sich Kreuze umzuhängen oder diese etwa in Kirchen anzubeten. Es verbannt weder Marterl, Kopftuch noch Kippa aus der Öffentlichkeit. Es hält nur fest, dass diese religiösen Symbole in den Schulklassen eines religionsneutralen Staats nichts verloren haben - und das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
Thomas Schmidinger ist Lektor am Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien.