Zum Hauptinhalt springen

Menschenrechtsverletzungen: System der Straflosigkeit durchbrechen

Von Michael Schmölzer

Politik

Am Samstag fand im Renner-Institut eine von "Standard", amnesty international und Boltzmann-Institut veranstaltete Tagung zum Thema "Verbrechen gegen die Menschlichkeit - Umgang mit Gewalt an Beispielen Lateinamerikas, Asiens und Osteuropas" statt. Ein internationales Referententeam bot die verschiedensten Zugänge zum Problemkreis Kriegsverbrechen, Völkermord und Menschenrechtsverletzungen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 24 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Bei seiner Eröffnungsrede erinnerte Ex-Innenminister Caspar Einem an das Ende des Nazi - Regimes vor genau 55 Jahren. In diesem Zusammenhang rief er zu Sensibilität und Wachsamkeit beim Umgang mit Minderheiten auf.

Fall Omofuma

Skepsis sei vor allem dann von Anfang an geboten, so der Ex - Innenminister, wenn versucht werde, Menschen in "höherwertige" und "niedrige" einzuteilen. Dabei verwies er auf den mittlerweile ein Jahr zurückliegenden Fall Omofuma: In Richtung österreichische Exekutive meinte Einem, dass die Gefahr von Vorurteilen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Rasse gegenüber leicht zu "Präventivgewalt" und Ungerechtigkeit führe.

Besonders wichtig sei es, Maßstäbe zu entwickeln, die einer Entwicklung zur Unmenschlichkeit möglichst früh das Handwerk lege. Eine wertaufgeladene Politik müsse hellhörig machen, da hierbei Einzelfälle ungerechtfertigt auf ein Kollektiv umgelegt würden.

Todesschwadronen

Am Anschluss daran verwies Miguel Gamboa, kolumbianischer Menschenrechtsexperte, auf die erschreckenden Zustände in seiner ehemaligen Heimat. Alleine im Jahr 1999 seien 20.000 Menschen unter Duldung der offiziellen Kräfte von Paramilitärs ermordet worden. Das Gravierende an der kolumbianischen Situation sei, dass Todesschwadronen, Entführungen und Bürgerkrieg bereits seit Jahrzehnten ein fixer Bestandteil der innenpolitischen Situation seien und beinahe die "Normalität" darstellten.

"Violencia"

In der Tat ist ein Leben ohne Gewalt unvorstellbar für die meisten Bewohner der südamerikanischen Republik. Sie beherrscht einen ganzen Abschnitt der Geschichte: Die Zeit zwischen 1946 und 1965 wird von Historikern "violencia" (Gewalt) genannt. Allein während dieser Zeit kamen 200.000 Menschen gewaltsam ums Leben. Eine bedeutenden Stellenwert haben dabei die verschiedensten Guerilla-Bewegungen, ursprünglich linksintellektuelle Gruppierungen im Kampf gegen die Regierung. Mittlerweile ist "Guerilla" für viele Kolumbianer so etwas wie eine Lebensart geworden.

Guerilla

Da ein Großteil der Bevölkerung bitterster Armut ausgesetzt ist und die wechselnden Regierungskonstellationen wenig sozialreformerisches Potential hatten und haben, bildeten sich ab den sechziger Jahren verschiedene Widerstandsgruppen, die die Regierung mit Waffengewalt zur Umkehr zwingen wollten. Von Bedeutung sind hier das "Heer zur nationalen Befreiung" (ELN), die "Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens" (FARC) sowie die "Bewegung 19. April" (M- 19). Die Guerilleros kontrollieren weite Landesteile und verfügen durch Entführungen und Drogenhandel über eine solide finanzielle Basis. In ihrer heutigen Form haben sich diese Kampfverbände jedoch weit von ihren ursprünglich sozialistischen Idealen entfernt: Schon der Einsatz von Landminen, unzählige Entführungen und andere Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung lassen diesen Schluss zu.

Paramilitärs

Auf der anderen Seite des Gewaltspektrums stehen die Paramilitärs, die oft in Verbindung mit den offiziellen Streitkräften agieren und bei der Bekämpfung der Guerilleros auch die Zivilbevölkerung nicht schonen. Im Zuge sogenannter "sozialer Säuberungen" gehen diese Kampfeinheiten immer wieder gezielt gegen die gesellschaftliche Unterschicht, insbesondere Straßenkinder vor.

Möglich gemacht werden diese fundamentalen Menschenrechtsverletzungen durch einen Staat, der von Korruption durchzogen in vielen Bereichen überhaupt nicht mehr präsent ist und das Feld vielerorts den Drogenbaronen überlassen hat.

Doch hier dürfte sich laut Miguel Gamboa in den letzten Jahren ein Wandel vollzogen haben: Mittlerweile gehe die Staatsanwaltschaft sehr wohl in manchen Fällen selbst gegen Generäle vor, wenn diese im Verdacht von Menschenrechtsverletzungen stünden.

Ost-Timor

Auf einen Genozid, der sich im vergangenen Jahr ohne allzu großes Aufsehen zu erregen in Indonesien ereignete, wies die Journalistin und Asienexpertin Sabine Hammer hin. Anlass für ein unbeschreibliches Gemetzel, bei dem über die Hälfte der einheimischen Bevölkerung entweder spurlos verschwand oder umkam, war die Abhaltung eines Unabhängigkeitsreferendums auf Ost-Timor: Im Zuge des Votums am 30. August 1999 entschieden sich über 78 Prozent der Bewohner der ehemals portugiesischen Kolonie für die nationale Unabhängigkeit und damit für die Loslösung vom indonesischen Mutterland.

Einschüchterung

Noch am gleichen Tag begannen die von Jakarta aus gesteuerten proindonesischen Milizen - wie sich Sabine Hammer als Wahlbeobachterin an Ort und Stelle überzeugen konnte - mit massiven Einschüchterungsaktionen und bewaffneten Angriffen auf die Zivilbevölkerung. Das Kontingent an internationalen Wahlbeobachtern war selbst bedroht und musste die Insel verlassen.

Teilschuld der UN

Zumindest eine Teilschuld an diesen Geschehnissen liegt laut Hammer beim UN-Sicherheitsrat: Denn nicht nur Menschenrechtsgruppen und verschiedene Geheimdienste, sondern auch die UN selbst hatte Kenntnis von den Plänen der Milizverbände. Die Notwendigkeit einer internationalen Schutztruppe wäre dennoch nicht in Betracht gezogen worden, kritisierte Hammer.

Spirale der Gewalt

Im Zusammenhang mit der Überführung General Pinochets nach Chile betonte Heinz Patzelt von Amnesty International die immense Wichtigkeit der tatsächlichen Verurteilung von Kriegsverbrechern. Es gehe dabei nicht darum "einen alten Mann zu quälen", sondern ein "fatales System der Straflosigkeit" zu durchbrechen. Denn wenn die geschädigten Menschen den Eindruck erhielten, Kriegsverbrechen werden nicht geahndet, würde sich die Spirale der Gewalt endlos weiterdrehen.

Neue Schwerpunkte

Während Amnesty International bisher einen eher individualistischen Ansatz bei seiner Arbeit verfolgt hat, würde nun - so Patzelt - gesamtpolitisches Engagement in den Vordergrund treten. Denn Menschen würden immer weniger wegen ihrer persönlichen Überzeugung, sondern aus Gründen einer Gruppenzugehörigkeit verfolgt.

Auch wolle die Menschenrechtsorganisation ihr Engagement vermehrt auf Kinder und Jugendliche richten, da diese in Sachen Toleranz und Empörung gegen Ungerechtigkeiten noch viel formbarer seien als Erwachsene, die sich im Laufe ihres Lebens eine zu pragmatische Denkweise angeeignet hätten.