Mitunter führt Politik geradewegs ins moralische Dilemma. Zwei Philosophen suchen nach Auswegen. | "Lasst Menschlichkeit walten!" - so schallt es insbesondere Innenminister Günther Platter derzeit laut entgegen. Dessen rigorose Abschiebe-Politik von zwar illegal in Österreich befindlichen, jedoch sozial integrierten Ausländerfamilien sorgt für Wogen der Empörung in den Medien.
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Mehr Menschlichkeit in der Politik ist jedoch leichter gesagt als getan, gibt der Philosoph Eugen Maria Schulak zu bedenken. "Mehr Menschlichkeit steht jedem gut zu Gesicht. Wenn allerdings Politiker helfen, dann tun sie das in der Regel nicht mit eigenem Geld, sondern mit dem der Steuerzahler - und hier stellt sich die Frage, ob das dann noch als Menschlichkeit bewertet werden kann", formuliert Schulak. Er muss es wissen, schließlich betreibt er in Wien eine philosophische Praxis, die sich mit den praktischen Problemen bei der Anwendung abstrak ter ethischer Prinzipien auf den Alltag beschäftigt.
Auch der kategorische Imperativ nach Immanuel Kant ("Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.") bietet Platter keinen Ausweg aus seinem moralischen Dilemma. Kann man wirklich wollen, dass es ein allgemeines Gesetz wird, dass jedem geholfen wird?
"Wenn man das konsequent zu Ende denkt, muss man zu dem Schluss kommen, dass man sich ein solches Gesetz nicht wünschen kann - es geht sich materiell einfach nicht aus", meint Schulak.
Wenn aber schon kein allgemeines Gesetz, so zumindest ein Gnadenakt? Schulak: "Das wäre natürlich ein Akt der Menschlichkeit, aber wie geht es dann weiter? Wann hätte etwa der Heilige Martin aufgehört, seinen Mantel für frierende Mitmenschen zu teilen? Bei zwei oder drei ist das kein Problem, aber irgendwann hätte er für sich selbst keinen Mantel, sondern nur noch einen Stoffstreifen übrig gehabt. Das muss auch der Innenminister bedenken, dass er irgendwann einmal selbst kein Hemd mehr hat."
Das Problem liegt für Schulak darin, "dass wir verlernt haben zu diskriminieren", also zu "unterscheiden, wem man helfen will oder kann und wem nicht". Ohne diese Fähigkeit zum Unterscheiden finde man jedoch keine Lösung. "Darüber nachzudenken", so Schulak, "ist jedoch ein Tabuthema."
Davon, dass "unser politi sches System mehr Mensch lichkeit verträgt", ist Peter Kampits , Dekan der Fakultät für Philosophie der Uni Wien, überzeugt. Sein Rat für Platter im Angesicht humanitärer Notfälle: "Weg vom sturen Legalitätsprinzip hin zu einer moralischen Grundsätzen verpflichteten Ausnahmeregelung." Die Grenzziehung allerdings, das gesteht auch Kampits ein, sei "wahnsinnig schwierig".
Reduziert wird die moralische Komplexität des Platterschen Dilemmas durch das Hinzufügen politischer Kategorien. Dann stehen nämlich Wählerstimmen im Vordergrund. Und die moralischen Argumente der Parteien relativieren sich von selbst, wenn man erkennt, dass sich bei allen die Sachposition mit der wahltaktischen Motivlage deckt.