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"Merkel bleibt ein halbes Jahr Zeit"

Von Walter Hämmerle

Europaarchiv
Ist Deutschlands Koalition ein einziges politisches Missverständnis? Vizekanzler und FDP-Chef Guido Westerwelle neben Kanzlerin Angela Merkel. Foto: AP

Gabriel: Autorität der Kanzlerin durch Pannen-Wahl massiv beschädigt. | "Wahlen im Frühjahr letzte Chance." | "FDP wurde zur Ein-Thema-Partei." | "Wiener Zeitung": War die mühsame Wahl von Christian Wulff zum deutschen Bundespräsidenten der Anfang vom Ende der Koalition aus Union und FDP?


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Oscar Gabriel: So weit würde ich nicht gehen, aber ganz sicher ist die Regierung ein weiteres Mal geschwächt worden, weil es ihr trotz eigener deutlicher absoluter Mehrheit erst im dritten Wahlgang gelungen ist, Wulff zu wählen.

Was hält denn diese Regierung noch zusammen, außer der nackten Angst vor den Wählern bei Neuwahlen?

Klar ist, dass keine der Koalitionsparteien derzeit Neuwahlen riskieren kann. Die Union liegt bei 30 bis 32 Prozent nach 34 Prozent bei den Wahlen 2009, die FDP ist von fast 15 auf 5 Prozent abgesackt und müsste um den Wiedereinzug in den Bundestag zittern. Ich bin auch überzeugt, dass der Vorrat an programmatischen Gemeinsamkeiten bei dieser Koalition von Anfang an überschätzt wurde. Die FDP hat sich in der Opposition zu einer Ein-Thema-Partei verengt, die nur noch auf die Forderung nach Steuersenkungen konditioniert ist. Und die Union hat übersehen, dass sie mit der FDP mit einer Partei koaliert, die das Regieren verlernt hat.

Haben beide Partner noch die Kraft, die richtigen Konsequenzen aus den Fehlern zu ziehen?

Der Ernst der Lage ist beiden sicher klar, etwas anderes ist es, ob sie auch die Lehren daraus ziehen können. Mit dem vorhandenen Personal habe ich da meine großen Zweifel. Und woher sollten neue Personen kommen?

Angela Merkel selbst hat die Bundespräsidentenwahl zur Chefsache erklärt, allerdings hat ihr ein beträchtlicher Teil der Mannschaft die Gefolgschaft verweigert. Was bedeutet das für die Autorität der Bundeskanzlerin?

Die ist massiv in Frage gestellt. Sie muss sich nun fragen, wie sie ihren Regierungsstil neu erfinden kann. Der Versuch, ihre Moderatorenrolle aus der Zeit der schwarz-roten auf die jetzige Koalition, wo sich die Partner permanent profilieren, zu übertragen, ist gescheitert. Auch die Kandidatenfrage bei der Bundespräsidentenwahl hat sie nicht kompetent gehandhabt: Zuerst hat sie auf das Angebot der SPD, einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen, nicht reagiert, dann hat sie drei Tage die Medien wild über mögliche Personen spekulieren lassen, um schließlich in einer einsamen Entscheidung Wulff auf den Schild zu heben. Das hat vielen in der Koalition nicht gefallen.

Gibt es aber überhaupt eine personelle Alternative in der CDU zu Merkel? Mit Roland Koch und Jürgen Rüttgers sind zwei einstige Kronprinzen abhanden gekommen; Wulff fällt jetzt ebenfalls aus; und die vielleicht größte politische Autorität der CDU, Finanzminister Wolfgang Schäuble, sitzt im Rollstuhl.

Im Moment sehe ich tatsächlich keine Alternative zu Merkel. Sie hat das Glück, dass die nächsten Landtagswahlen erst im Frühjahr 2011 anstehen. Das gibt ihr ein gutes halbes Jahr Zeit, das Ansehen der Koalition zu verbessern. Aber wenn bei den Wahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt für die CDU etwas danebengeht, wird es eng für Merkel. Wenn es aber wirklich kritisch wird, findet sich immer eine personelle Alternative, da sollte man sich keinen Illusionen hingeben.

Wird Merkel der Umschwung zum Besseren gelingen?

Bis zum Antritt dieser Koalition habe ich eigentlich die Führungsstärke der Kanzlerin bewundert, aber im Moment traue ich mir keine Prognose zu.

Die Fehler der Koalition haben der Opposition neues Leben eingehaucht. Setzt jetzt die SPD zu einem neuen Höhenflug an?

Man muss die Situation der SPD von ihrem Ergebnis bei der letzten Bundestagswahl her betrachten: Diese 23 Prozent waren natürlich ein untypisches Abschneiden, zu dem viele negative Faktoren, die gleichzeitig zusammenkamen, einen Beitrag geleistet haben. Wenn sich die Partei jetzt wieder auf die 30-Prozent-Marke zubewegt, ist das also auch ein Schritt hin zur Normalisierung.

Die Entscheidung für Joachim Gauck als Kandidaten gegen Wulff war ein genialer Schachzug, um die Regierung zu schwächen; sie war allerdings alles andere als genial, als es darum ging, den eigenen Kandidaten durchzubringen. Es konnte von Anfang an keinen Zweifel geben, dass Gauck für die Linkspartei wegen seiner Rolle als Stasi-Aufklärer unwählbar ist.

So betrachtet sehe ich also keinen großen Aufschwung der SPD, das würde auch unter den Bedingungen des derzeitigen Parteiensystems in Deutschland sehr schwer werden. Die SPD muss mit Grünen und Linkspartei konkurrieren, das macht eine Rückkehr zur 40-Prozent-Marke äußerst unwahrscheinlich, da linke Parteien in Deutschland in Summe betrachtet nicht mehr als 50 Prozent auf sich vereinen können.

Zur Person

Oscar W. Gabriel ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Stuttgart mit Schwerpunkt politische Kultur und Parteien. Foto: privat

Siehe auch:Ein Dankeschön an die Konkurrenz

+++ Wulffs Kronprinz McAllister rückt auf