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Merkel droht der Störfall im CDU-Kernland

Von Georg Friesenbichler

Europaarchiv

Umfragen sehen Rot-Grün voran. | Atomwendepolitik kommt nicht an. | Wien/Stuttgart. Bei der Wahl in Baden-Württemberg am Sonntag geht es um den Wohlstand des Landes, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel unter Verweis auf die guten Wirtschaftsdaten des Landes. Aber schon die Begleitumstände dieser Stellungnahme zeigten, dass es vielen Wählern um mehr geht. | Ein Grüner könnte erstmals Ministerpräsident werden


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Trotz der strengen Eingangskontrollen hatten sich nämlich 50 Demonstranten unter die 5000 CDU-Anhänger in der Halle in Ludwigsburg gemischt und störten die Veranstaltung, die im Wahlkampf-Endspurt Stimmung für den amtierenden Ministerpräsidenten Stefan Mappus machen sollte.

Die Zwischenrufe bezogen sich auf das umstrittene Bahnhofsprojekt "Stuttgart 21" und die Atompolitik der deutschen Koalitionsregierung. Beide Themen sind Schwachpunkte von Mappus. Gerade erst hatte er sich von dem Umfragentief, in das er wegen seines Polizeieinsatzes gegen "Stuttgart 21"-Gegner gerutscht war, zu erholen begonnen. Dann kam Japan. Und nun will ihm niemand abnehmen, dass er vom Saulus zum Paulus mutiert ist, dass er nun der Atomenergie skeptisch gegenübersteht. Denn noch im Februar hatte er den Rücktritt des deutschen Umweltminister Norbert Röttgen gefordert, weil dieser sich negativ zur beschlossenen Laufzeitverlängerung geäußert hatte.

FDP-Brüderle tritt ins Fettnäpfchen

Mappus trifft daher die Kehrtwende der schwarz-gelben Regierung in Berlin, die sieben AKW, darunter zwei in Baden-Württemberg, vorübergehend stilllegen ließ, besonders. Ausgerechnet in dieser Situation, in der die Parteispitzen von Union und FDP versichern, nur um die Sicherheit der Bürger besorgt zu sein, wird der Verdacht der Opposition bestätigt, dass die Abschaltung nur ein taktisches Manöver vor den Landtagswahlen sein dürfte - auch in Rheinland-Pfalz wird am Sonntag gewählt.

Der Zeuge dafür ist Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, der vor 40 Spitzenmanagern erklärt hatte, dass die Atom-Wende "nicht rational" sei, sondern die Entscheidung unter dem Druck der Landtagswahlen zustande gekommen sei. Die Worte Brüderles bei dieser geschlossenen Veranstaltung des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) wurden mitgeschrieben, das Protokoll hat die "Süddeutsche Zeitung" drei Tage vor der Wahl veröffentlicht. Es folgten heftige Dementis, der BDI sprach von einem "Protokollfehler". An der schlechten Meinung der Deutschen über die Atom-Wende ändert dies wohl wenig: Schon zuvor wurde diese von drei Viertel der in Umfragen Interviewten als Wahlkampftaktik eingestuft.

Glaubwürdigkeit von Merkel beschädigt

Der Kanzlerin hat das laut Meinungsforschern Glaubwürdigkeit gekostet, von 68 Prozent vor eineinhalb Jahren rutschte sie auf rund 50. Die Stammwähler der CDU sind irritiert durch die Wendigkeit ihrer Partei und durch das Preisgeben ihrer traditionellen Positionen, was vielen als Opportunismus gilt. Im vom Forsa-Institut ermittelten Wahltrend verlor die CDU drei Prozentpunkte auf 33 Prozent; profitieren würden vor allem die Grünen. Bundesweit liegt Rot-Grün mit 45 Prozent derzeit klar vor der schwarz-gelben Bundesregierung (38 Prozent).

Deren Pendant in Baden-Württemberg liegt in den Umfragen ähnlich schlecht. In dem schwarzen Kernland hat - außer in den ersten beiden Jahren des erst seit 1952 bestehenden Bundeslandes - immer die CDU den Ministerpräsidenten gestellt.

Geht hier die Mehrheit verloren, wackelt auch Angela Merkels Sessel, meinen deutsche Kommentatoren. Nicht nur wird für sie das Regieren schwerer, weil die Opposition ihre Mehrheit in der zweiten Kammer, dem Bundesrat, ausbauen kann. Es würde sich wohl auch ein heftiger Disput innerhalb der Partei über den Kurs von Merkel entwickeln.

Ähnliches gilt auch für ihren Koalitionspartner Guido Westerwelle. In Sachsen-Anhalt flog die FDP am vergangenen Wochenende aus dem Landtag, einen weiteren Misserfolg in Baden-Württemberg, wo sie immer stark war, würde ihr Vorsitzender nicht unbeschadet überstehen.