Die deutsche Bundeskanzlerin rief Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán zu mehr Offenheit gegenüber seinen Kritikern auf.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Budapest. Am Ende gaben sich Angela Merkel und Viktor Orbán für die Pressefotografen die Hand, beider Lächeln war mechanisch. Weniger als eine Minute vorher war es zwischen den beiden zu einem der heftigsten öffentlichen Verbalduelle zwischen Regierungschefs in der jüngeren deutsch-ungarischen Geschichte gekommen. Orbán hatte auf eine an Merkel gerichtete Journalistenfrage, ob man über Orbáns Vorstellungen von einer "illiberalen Demokratie" gesprochen habe, geantwortet. "Nicht jede Demokratie ist unbedingt liberal. Und wenn jemand sagen will, dass die Demokratie notwendigerweise liberal ist, der verlangt ein Privilegium für ein Ideensystem, das wir ihm nicht geben können".
Orbán bekräftigte damit die Kernidee einer programmatischen Rede, mit der er im vergangenen Sommer im rumänischen Baile Tusnad Aufsehen und Kritik erregt hatte. Wohlwollende Kommentatoren hatten damals gemeint, Orbán habe nur dem Wirtschaftsliberalismus den Kampf angesagt. Diese These strafte der ungarische Regierungschef jetzt Lügen. Es geht ihm um ein Attribut der Demokratie, nicht der Wirtschaft.
Schikanen gegen NGOs
Vorher hatte Merkel zwar eindeutig, doch sanfter im Satzbau, klargestellt: Liberalismus gehöre ebenso zur Demokratie wie soziales Denken und konservative Werte. Mit dem Begriff "illiberal" in Bezug auf die Demokratie könne sie "nichts anfangen". Mit Blick auf Orbáns Gängelpolitik gegenüber den Medien und der Schikanierung von Nichtregierungsorganisationen sagte die Kanzlerin: "Ich habe hingewiesen, dass, auch wenn man eine sehr breite Mehrheit hat, es sehr wichtig ist, in einer Demokratie die Rolle der Opposition, die Rolle der Zivilgesellschaft, die Rolle der Medien zu schätzen."
Noch deutlicher wurde Merkel später, im Gespräch mit Studenten in der Andrássy-Universität, bei dem der eigentliche Adressat Orbán nicht dabei war: Nichtregierungsorganisationen sollten nicht als "Agenten ausländischer Mächte" verteufelt werden, sagte sie. Die Kanzlerin bezog sich damit auf die noch aus dem vergangenen Sommer stammenden Drohungen Orbáns mit Maßnahmen gegen Vereine, die aus dem Ausland finanziert werden - mit dem Argument, dass diese "ausländischen Interessen" dienten. Dem entsprechend laufen derzeit Schikanen gegen ungarische Organisationen, die aus Norwegen finanziert werden.
Vor der Merkel-Visite, auf die Ungarn sehr gedrängt hatte, zerbrachen sich Ungarns Analysten die Köpfe, ob die Kanzlerin damit Orbán samt seiner demokratisch bedenklichen Politik unverdient aufwerten würde. Am Vorabend gingen tausende Ungarn auf die Straße und verlangten, dass Merkel Orbán die Leviten lesen möge. Ob Orbán oder Merkel Sieger dieses Duells waren, dürfte weiter strittig bleiben.
Russland-Differenzen
Insider hielten es für wahrscheinlich, dass hinter den Kulissen auch das Schicksal des von Orbán mit hohen Steuern schikanierten Senders RTL-Klub zur Sprache gekommen sein könnte. Über seine Luxemburger Mutterfirma RTL gehört der Sender zum deutschen Bertelsmann-Konzern. RTL und Ungarns Regierung hatten im Vorfeld von Merkels Besuch Verhandlungen begonnen, an deren Ende möglicherweise die Steuer auf Werbeeinnahmen für RTL Klub auf weniger als zehn Prozent gedrückt werden. Orbáns Regierung hatte im vorigen Sommer ein Gesetz zur Besteuerung von Werbeeinnahmen durchgesetzt, das RTL Klub mit einem Satz von 50 Prozent von allen Medienunternehmen am härtesten betrifft. Daraufhin verwandelte sich RTL Klub schlagartig von einem reinen Unterhaltungssender in ein investigatives Organ, das über korruptionsverdächtige Machenschaften des Orbán-Clans berichtete. Ob dies auch nach einer Einigung in der Steuerfrage so bleibt, ist fraglich.
Auch in der Ukraine-Russland-Frage - einem von Berlin geplanten Hauptthema der Gespräche - herrschte kein hundertprozentiger Konsens. Zwar hat Ungarn murrend die EU-Sanktionen gegen Moskau mitgetragen. UndMerkel und Orbán waren sich einig, dass es keine deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine geben solle. Dennoch klangen Differenzen an. Orbán betonte, dass Ungarn zu 80 Prozent von russischen Gaslieferungen abhängig sei - Merkel konterte, auch Deutschland beziehe Gas aus Russland und auch die deutsche Wirtschaft leide unter den Sanktionen.