Zum Hauptinhalt springen

"Merkel ist das Problem, nicht Cameron"

Von Alexander U. Mathé

Politik
0
Lamarque betreibt den Blog helpthegreekpeople.

Interview mit dem französischen Europa-Experten Jose Manuel Lamarque.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Wiener Zeitung":Es sieht so aus, als wären Frankreich und Großbritannien die großen Gegenspieler in der EU. Ist das nicht irgendwo überraschend?Jose Manuel Lamarque: Frankreich weiß derzeit nicht so recht, wo es steht. Das größte Problem der Franzosen ist aber nicht Großbritannien. Franzosen und Briten sind seit Jahrhunderten daran gewöhnt, miteinander zu leben und miteinander auszukommen. Wir haben auch dieselbe Eigenheit: Wir sind gleichermaßen heuchlerisch. Beide Länder betreiben die Politik des Nichtgesagten. Wir sagen nicht die Wahrheit - und nicht, was wir denken.

Was ist dann das große Problem?

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Die hat denselben Standpunkt wie Ludwig XVI: Sie sagt immer "Nein", "Nein, das ist nicht möglich". Ludwig XVI. hat das auch gesagt und dann kam die Revolution. In Wahrheit ist die deutsch-französische Partnerschaft längst vorbei. Unter Kanzler Willy Brandt hat es die noch gegeben. Aber spätestens seit Schröder ist sie vorbei.

Was hat sich geändert?

Deutschland. Dort wird nicht mehr eine rheinländische Politik betrieben, sondern eine preußisch-arrogante.

Und doch kommen Franzosen und Briten auch nicht auf einen gemeinsamen Nenner?

Wie immer. Doch es gibt immer wieder diese gewisse Kontinuität: Die erste Reise von Präsident François Hollande ging nach England. Als die Mauer in Berlin gefallen ist, ist Präsident François Mitterrand nicht nach Deutschland gefahren. Er ist nach London zu Premierministerin Margaret Thatcher gefahren und hat gefragt: "Was machen wir jetzt?" Das ist alles eine Frage dessen, wie man sich nach außen hin gibt. Auch wenn es Reibereien gibt, bin ich fest davon überzeugt, dass alles gut läuft zwischen Frankreich und dem Vereinigten Königreich.

Es ist also alles gut?

Das habe ich nicht gesagt. Es geht nur alles so weiter, wie es immer gewesen ist. Wir behalten dieselbe Art des Zusammenlebens wie bisher bei. Das haben wir so schon seit Jahrhunderten gemacht.

Ein wenig Veränderung gibt es doch, immerhin droht Großbritannien jetzt aus der EU auszutreten.

Das sagen die Briten doch schon seit Jahrzehnten. Aber wirklich austreten werden sie niemals. Sie wissen genau, dass sie mit Europa leben müssen. Ein Teil der konservativen Partei im Vereinigten Königreich will unbedingt aus der EU austreten. Das ist aber nicht möglich, auch wenn da das Referendum über den Austritt ist. Die Briten hängen wirtschaftlich von der EU ab. Ihr Hauptmarkt ist Europa. Die Wirtschaftswelt wird also Cameron sagen: "Du kannst die EU nicht verlassen, das ist unser Markt." Abgesehen davon: Sollten die Tories die nächsten Wahlen verlieren, wird es kein Referendum geben, das hat die Labour-Partei bereits angekündigt. Viel wichtiger wird aber das schottische Unabhängigkeitsreferendum nächstes Jahr sein. Wenn das positiv ausgeht, gibt es kein Vereinigtes Königreich mehr.

Jose Manuel Lamarque ist politischer Analyst, Europa-Experte und Journalist beim Sender "Radio France".