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Merkels Einknicken zeitigt Erfolg

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare

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"Eine herabsetzende Äußerung nimmt erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht." Nach dieser Vorgabe des deutschen Höchstgerichts erließ ein Hamburger Gericht nun die einstweilige Verfügung, der Satiriker Jan Böhmermann dürfe Schlüsselpassagen seines Schmähgedichts über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht öffentlich wiederholen, sonst setze es bis zu 250.000 Euro "Ordnungsgeld". Das Schmähgedicht unterstellt Erdogan unter anderem Sodomie mit Ziegen und Oralsex "mit hundert Schafen", nennt ihn "dumme Sau" mit Schrumpfhoden sowie "pervers, verlaust und zoophil". Sexuelle Handlungen an Tieren sind in Deutschland seit 2013 gesetzlich verboten.

Böhmermann verschärfte mit dem Schmähgedicht im März die Spannungen zwischen Berlin und Ankara, die wegen des Flüchtlingsdeals entstanden waren. Der augenscheinlich erboste Erdogan ließ den deutschen Botschafter zur diplomatischen Kopfwäsche einbestellen und begehrte einen Prozess gegen Böhmermann nach Paragraf 103 des deutschen Strafgesetzbuches. Dieser stammt aus dem Jahr 1871 und schützt ausländische Staatsmänner vor Beleidigung. Allerdings muss die deutsche Regierung eine solche Klage wegen Majestätsbeleidigung gestatten. Kanzlerin Angela Merkel stimmte zu, um den Flüchtlingsdeal nicht zu gefährden, und handelte sich massive Kritik ein: Einknicken vor einem Autokraten, Verstoß gegen die Meinungs- und Kunstfreiheit.

Erdogans deutscher Anwalt klagte und bekam in wesentlichen Punkten Recht. Doch das Hamburger Gericht unterschied klar zwischen Meinungsfreiheit und Menschenwürde, die laut Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes "unantastbar" ist: Das Schmähgedicht habe etwa durch "sexuelle Bezüge die Grenze zwischen Satire und ehrverletzenden Schmähungen überschritten". Gleichwohl wurd betont, dass sich Erdogan satirische Kritik an seiner Politik sowie an der Unterdrückung der Kurden und der Meinungsfreiheit gefallen lassen müsse. Also darf Böhmermann Erdogan weiter "sackdoof, feige und verklemmt" nennen und einen Mann, der "Mädchen schlägt" und Minderheiten unterdrückt.

Wem sollte das Schmähgedicht nützen? Böhmermann hätte wissen müssen, wie der Autokrat Erdogan reagieren würde. Was nützt ihm, Europa und den Flüchtlingen der Beifall all jener, die Erdogans Politik anprangern? An den Zuständen in der Türkei und am Schicksal der Flüchtlinge ändert der Angriff nichts. Hingegen stärkt die deutsche Kritik am Schmähgedicht Erdogans Status unter den Türken.

Offensichtlich setzte Erdogan mit seiner Klage taktisch ungleich mehr auf populistischen Wirbel denn auf Klugheit. Hätte er das Schmähgedicht ignoriert, wäre Böhmermann um das Vergnügen gekommen, dass sein Hieb saß. Der Satiriker verbuchte also einen Treffer, steht aber nach der ersten gerichtlichen Runde als Verlierer da.

Nun hält aber auch der Vorwurf nicht mehr, Merkel sei eingeknickt, weil sie gemäß Paragraf 103 der beleidigten Majestät Erdogan den Weg vor ein deutsches Gericht frei machte. So konnte die unabhängige Justiz eines Rechtsstaates eine klare Grenze zwischen Schmähung und Meinungsfreiheit ziehen - eine Lektion, die Erdogan sicher nicht lernen wird.

Die unabhängige Justiz des deutschen Rechtsstaates zog eine klare Grenze zwischen Meinungsfreiheit und einem Schmähgedicht.